Ein Streitgespräch zwischen Christiane Florin und Peter Kohlgraf„Kirche ist kein Eintopf“

Klerikalismus, Zölibat, Frauenpriestertum: Für die Journalistin Christiane Florin geht es bei diesen Streitpunkten vor allem um die Machtfrage. Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf meint: Man wird nicht Priester, um das Sagen zu haben. Die Fragen stellte Benjamin Leven.

Streitgespräch zwischen Christiane Florin und Peter Kohlgraf

Herr Bischof, Warum gibt es eigentlich Priester?

Peter Kohlgraf: Der geweihte Priester soll garantieren, dass Christus in der Kirche und in der Gemeinde sakramental gegenwärtig ist.

Aber wäre nicht auch eine Kirche ohne Priester vorstellbar, Frau Florin?

Christiane Florin: Eine Kirche ohne Priester kann ich mir nicht vorstellen. Letztlich wünschen sich doch fast alle in der Kirche, dass eine solche Bezugsperson da ist. So sind die Gläubigen erzogen. Es gibt noch immer diese wohlwollende Unterstellung, dass ein Priester einen besseren Draht zu Gott hat – dass er besser von Gott erzählen kann und natürlich die Sakramente spendet.

Kohlgraf: Wobei wir vom Gedanken, dass der Priester einen engeren Draht zu Gott hat, theologisch eigentlich weg sind.

Das irritiert mich. Wofür brauche ich als Katholik den Priester, wenn ich genau dieselbe Verbindung zu Gott habe wie er?

Kohlgraf: Weil mir bestimmte Dinge von anderen zugesprochen werden müssen. Sünden vergeben kann ich mir nicht selbst. Taufen kann ich mich nicht selbst. Die Sakramente sind immer etwas, was durch jemand anderen vermittelt wird. Natürlich können manche Sakramente in besonderen Situationen auch durch Laien gespendet werden, etwa die Taufe oder die Eheschließung. Aber insgesamt steht für diese sakramentale Dimension, für diese Dimension der Vermittlung, der Priester. Er gehört wesentlich zur Kirche dazu – aber er steht dabei im Dienst aller Glaubenden und hilft ihnen, ihren Glauben selbstverantwortlich zu leben.

Florin: Mir fällt auf, dass jüngere Priester Wert auf ihre besondere Rolle legen. Das hat in den Neunzigerjahren angefangen. Der Priester in Jeans war passé, nun begann man wieder Klerikerkleidung zu tragen. Ich habe mit vielen jungen Priestern gesprochen, die betont haben: Ich bin etwas Besonderes, ich bin eine Autorität.

Kohlgraf: Man kann sich unterschiedlich verorten. Ich kann einerseits stark hervorheben, dass der Priester der Gemeinde gegenübersteht und ihr gegenüber Christus repräsentiert und dass er deshalb eine herausgehobene Stellung hat. Ich kann aber auch sagen: Der Priester ist ein Teil des gläubigen Gottesvolkes, in einer bestimmten Funktion, einem bestimmten Dienst. Das ist nicht zuletzt eine Generationenfrage. Die Priester, die heute sechzig oder siebzig Jahre alt sind, tragen oft keine Klerikerkleidung. Die Jüngeren tun es mehr. Dahinter muss nicht immer der Wunsch stehen, sich abzugrenzen. Es kann auch darum gehen, für die Menschen erkennbar und ansprechbar zu sein.

Wie ist es denn nun? Ist der Priester etwas anderes als ein Laie? Hat er recht, wenn er einen Unterschied betont?

Kohlgraf: Natürlich gibt es in der Kirche verschiedene Rollen. Auch eine Ordensfrau hat eine besondere Rolle inne. Die Kirche ist kein Eintopf. Das sagt aber nichts über die Wertigkeit der jeweiligen Person aus oder über die Beziehung zu Gott. Entscheidend ist für Christen, dass sie einen direkten Draht zu Gott durch ihre Taufe haben.

Florin: Die Kirche macht den Priester schon zu etwas Besonderem. Er soll zölibatär leben, er soll während seines Studiums in einem Priesterseminar wohnen und nicht in einer Wohnung wie die anderen Studenten. Und letztlich sind es auch die Priester, die in der Kirche das Sagen haben. In der Pfarrgemeinde ist der Pfarrer der Chef, in der Diözese gibt der Bischof den Ton an, und in der Weltkirche hat der Papst das letzte Wort.

Im Kirchenrecht heißt es, der Pfarrer habe in seiner Pfarrei den Dienst des Lehrens, Leitens und Heiligens inne. Gleichzeitig ist die Realität so, dass von ihm erwartet wird, ein Teamplayer zu sein.

Kohlgraf: Ich kann im kanonischen Recht nirgendwo die Aufforderung finden, dass der Priester einsam seine Entscheidungen treffen soll. Natürlich ist er letztverantwortlich. Auch der Bischof ist letztverantwortlich, das stimmt. Aber ich werde doch einen Teufel tun, mich hier ins Bischofshaus zu setzen und in einer stillen Stunde einsame Entscheidungen zu treffen.

Florin: Man hat in Limburg gesehen: Wenn ein Bischof seine Autorität in dieser Form gebrauchen will, kann er das tun. Und das unterscheidet die Kirche von anderen Institutionen, in denen Beratung nicht fakultativ ist, sondern verpflichtend.

Kohlgraf: Die Beratung ist auch in der Kirche nicht fakultativ. Es kann aber natürlich passieren, dass man an die falschen Berater gerät.

Oft ist zu hören, es brauche in Zukunft ein stärkeres Engagement der Laien. Ist das nicht letztlich aus der Not geboren, weil es immer weniger Priester gibt?

Kohlgraf: Wir müssen uns tatsächlich fragen: Meinen wir es ernst, wenn wir sagen, dass die Gläubigen in den Gemeinden mehr Verantwortung übernehmen müssen? Ist das für uns eine Herzens- und Verstandesangelegenheit, weil es zum Wesen der Kirche gehört, dass getaufte Menschen Verantwortung übernehmen? Wie würde ich mein Bistum aufstellen, wenn ich plötzlich wieder sechzig Seminaristen hätte? Ob ich dann wirklich sagen würde, ich bleibe bei meiner Linie und gebe Aufgaben an Laien ab?

Florin: Ob es für eine weitreichende Beteiligung aller Getauften nicht schon zu spät ist? Wie viele Laien sind in den letzten Jahrzehnten vor den Kopf gestoßen worden! In dem Moment, als eine stärkere Laienbeteiligung noch freiwillig gewesen wäre, also vor zwanzig oder dreißig Jahren, da ist sie nicht erfolgt. Jetzt sollen die Laien die Lücke stopfen.

Kohlgraf: Natürlich sind einige enttäuscht und haben sich vielleicht auch zurückgezogen. Aber ich erlebe in meiner Diözese eigentlich keine resignative Stimmung.

In der Schweiz gibt es Laien, Männer und Frauen, die Gemeinden leiten – und sie stehen Wort-Gottes-Feiern mit Kommunionspendung vor, die von der Messe nur schwer zu unterscheiden sind. Ist das eine glaubwürdige Lösung?

Florin: Nein, vonseiten der Hierarchie ist das nicht glaubwürdig. Lange hieß es aus Rom: Gemeinde ist nur da, wo Eucharistie ist. Da gilt eine Wort-Gottes-Feier als etwas Minderwertiges, als Notlösung.

Kohlgraf: Es ist tatsächlich eine Notlösung. Die sonntägliche Eucharistie kann nicht ersetzt werden. Bei den übrigen Formen sieht das anders aus. Wenn sich etwa die Gemeinde versammelt, um Stundenliturgie zu feiern, so hat es das immer gegeben und hängt nicht von der Anwesenheit eines Priesters ab.

Florin: Andererseits: Die Wirklichkeit will uns ja auch etwas sagen. Was passiert denn in diesen Wortgottesdiensten? Was nehmen diejenigen mit, die daran teilnehmen? Vermissen sie etwas, wenn nicht Eucharistie gefeiert wird? Vielleicht lautet die Antwort: Sie vermissen nichts.

Also brauchen wir doch keine Priester.

Florin: Es wird keine Kirche ohne Priester geben, aber trotzdem können Formen entstehen, für die kein Priester nötig ist. Menschen haben unterschiedliche Glaubensbedürfnisse: Das kann ein Konzert sein, ein Lesekreis, ein Gespräch über die Bibel. Auch das ist Kirche. Papst Franziskus sagt: Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee. Das gilt auch hier.

Kohlgraf: Natürlich gibt es die unterschiedlichsten Arten von Gottesdienst und Glaubensleben. Ich verstehe, dass heute manch einer sagt, mir bedeutet ein Bibelgespräch mehr als eine Messe. Aber es handelt sich doch theologisch gesehen um Formen, die aus der Eucharistie kommen und zur Eucharistie hinführen. Die Eucharistie, vor allem die Sonntagsmesse als Feier der Auferstehung, bleibt Quelle und Höhepunkt des kirchlichen Lebens.

Es gab und gibt unterschiedliche Vorstellungen davon, was einen Priester ausmacht. Die jüngere Priestergeneration orientiert sich wieder stärker an traditionellen Vorbildern. Woran liegt das?

Florin: Das hat sicher damit zu tun, dass es sich heute um einen sehr exotischen Lebensentwurf handelt. Es ist etwas Besonderes, Priester zu werden. Der Freundeskreis und selbst die eigenen Eltern reagieren darauf oft mit Unverständnis. Deswegen sucht man nach einem klaren Rollenbild und einem eindeutigen Selbstverständnis. Es ist nicht nur in der katholischen Kirche so, dass die Kinder und Enkel der Achtundsechziger-Generation sich wieder klare Maßstäbe wünschen und nach Autoritäten Ausschau halten.

Kohlgraf: Es ist ja auch eine nachvollziehbare Reaktion zu sagen: Je mehr meine Lebensweise hinterfragt und von der Gesellschaft nicht mehr mitgetragen wird, desto stärker dokumentiere ich auch nach außen hin, was mein Weg ist. Das muss aber nicht zwangsläufig abgrenzend oder klerikalistisch gemeint sein.

Florin: Was mich gegenüber diesen jungen Konservativen so skeptisch macht, ist, dass sie sich gegen jede Lebenserfahrung abschotten. Es gibt Situationen im Leben, in denen man mit schematischen Antworten und dem Hinweis auf die Lehre der Kirche nicht weiterkommt. Da braucht es die Fähigkeit zu differenzieren, genau hinzuhören, und sich auch selbst korrigieren zu können. Wenn ein Priester, der ein eher traditionelles Rollenverständnis hat, das kann, dann ist gegen ihn auch nichts zu sagen. Aber viele können es nicht, sondern wollen sich an der Lehre festklammern und sich in der Rolle als Streiter wider den Zeitgeist – wer immer dieses Gespenst auch sein soll – gefallen.

Ist es nicht nachvollziehbar, dass es jüngeren Priestern, die sich bewusst und gegen den Trend dafür entschieden haben, als Priester zu leben, auf die Nerven geht, darüber andauernd mit Außenstehenden zu diskutieren?

Florin: Dass sie das nervt, kann ich verstehen, dass sie darüber nicht diskutieren wollen, kann ich nicht nachvollziehen. Wenn man von einer Sache überzeugt ist, muss man auch aushalten, dass einem andere Leute Fragen dazu stellen. Sich da mit Arroganz und Gesprächsverweigerung zu wehren, halte ich für falsch.

Kohlgraf: Ich muss an dieser Stelle eine Lanze für die jungen Priester brechen. Ich habe sechs Jahre in der Priesterausbildung gearbeitet. Es wird manchmal der Eindruck erweckt, als wären das grundsätzlich weltfremde und abgehobene Typen. In Wirklichkeit handelt es sich bei den allermeisten um sehr offene, diskussionsbereite und menschenfreundliche junge Leute.

Die pauschale Klage über junge Priester hört man öfter. Wie ist das, Frau Florin: lieber keine Priester als diese jungen Priester?

Florin: Es geht nicht um jung oder alt, konservativ oder liberal. Ich habe nur kein Verständnis dafür, wenn jemand die Wirklichkeit ignoriert und nicht bereit ist zu diskutieren. Wenn mein Gegenüber sich im Besitz der Wahrheit wähnt und mit der Macht im Bunde ist, dann kriege ich eine Allergie.

Fehlt heute nicht viel von dem, was früher an Außenhalt und Disziplinierung vorhanden war und was dem Priester geholfen hat, nicht aus der Rolle zu fallen?

Kohlgraf: Ein Priester, der sich in vernünftiger Weise auf seine Gemeinde einlässt, erfährt auch heute noch großen Rückhalt.

Das Risiko ist größer geworden, an dieser Lebensform zu scheitern.

Kohlgraf: Das mag sein. Aber gilt das nicht für alle Lebensformen, die ich für ein Leben lang durchhalten will?

Vielleicht ist es heute insgesamt eine unpopuläre Idee, ein Leben lang an irgendetwas festzuhalten.

Kohlgraf: Ich weiß gar nicht, ob die Idee an sich unpopulär ist. Ich glaube zum Beispiel schon, dass viele junge Menschen die Sehnsucht haben, eine verbindliche, lebenslange Partnerschaft zu führen.

Florin: Was mir in der Kirche auffällt, ist das Schweigen derer, die Probleme mit dem Zölibat haben. Journalisten fragen danach, aber von den Priestern selbst wird das Thema kaum angesprochen. Im letzten Jahr gab es einen offenen Brief von älteren Priestern aus dem Erzbistum Köln, die von der Einsamkeit gesprochen haben, unter der sie leiden. Aber ansonsten habe ich den Eindruck, dass die Frage eher von außen an die Priester herangetragen werden muss. Es gibt eine große Angst davor, offen über dieses Thema zu sprechen. Wer traut sich, das System als Ganzes infrage zu stellen, zu sagen, dass hier grundsätzlich etwa schiefläuft? Studien über die Befindlichkeit von Priestern verschwinden schnell in der Schublade.

Kohlgraf: Ich habe vor Kurzem mit den Kaplänen unseres Bistums gesprochen – unter anderem darüber, wie es uns als Priester gelingt, nicht zu vereinsamen. Das ist eine brennende Frage, die unsere alten und kranken Priester betrifft, aber auch die jüngeren, die zunehmend zu Exoten in der Landschaft werden. Wir müssen uns diesem Problem stellen – auch, wenn es demnächst um pastorale Planungen geht. Ich denke da an unterschiedliche Formen des Zusammenlebens. In den Siebziger- und Achtzigerjahren gab es Versuche einer vita communis, die zum Teil auch gut funktioniert haben.

Passt das zu dem Gießkannenprinzip, nach dem die wenigen Priester gleichmäßig über das Gebiet eines Bistums verteilt werden?

Kohlgraf: Dieses Prinzip wird aber in Zukunft nicht mehr funktionieren. Wenn sich an den Zulassungsbedingungen zum Priesteramt nichts ändert und wir auf absehbare Zeit nicht mehr Priester haben werden, wird es so nicht weitergehen können.

Sollte sich denn an den Zugangsbedingungen zum Priesteramt etwas ändern?

Kohlgraf: Ich werde vermutlich noch rund 25 Jahre als Bischof wirken. Ich glaube nicht, dass wir in dieser Zeit noch den Kopf in den Sand stecken können und sagen: Wir sitzen das Thema aus.

Sollte es eine Änderung der Zulassungsbedingungen hinsichtlich des Zölibats geben oder nicht?

Kohlgraf: Dass es in Zukunft andere Zugangsformen geben wird, wenn auch vielleicht nicht flächendeckend, da bin ich mir ziemlich sicher. Es gibt ja auch jetzt schon verheiratete Priester, etwa in den katholischen Ostkirchen. Auf der anderen Seite denke ich aber nicht, dass darin die Lösung all unserer Probleme liegt.

Einmal naiv gefragt: Wofür ist der Zölibat gut?

Kohlgraf: Es ist eine Form, in der Kirche, meine Gottesliebe und Christusnachfolge zu leben.

Florin: Man darf nicht vergessen, dass der Zölibat innerkirchlich ein starkes Macht- und Kontrollmittel ist. Ein Priester, der mit dem Zölibat ringt, fühlt sich als jemand, der scheitert. Darum ist der Zölibat ein Mittel, mit dem man Menschen steuern kann, indem man ihnen ein schlechtes Gewissen macht.

Kohlgraf: Mir ist es noch nie durch den Kopf gegangen, den Zölibat als Machtmittel zu gebrauchen. Wenn ich in meinem Bistum verheiratete Priester hätte, könnte ich auch deren Ehesituation als Machtmittel benutzen. Sobald ich Dienstvorgesetzter bin, kann ich alles als Machtinstrument verwenden.

Florin: Aber Priester werden doch wegen einer Beziehung zu einer Frau oder einem Mann unter Druck gesetzt?

Kohlgraf: Ich werde doch nicht auf die Idee kommen, einen meiner Priester zu erpressen, weil er Schwierigkeiten mit dem Zölibat hat. Ich würde doch zunächst einmal versuchen, ihm zu helfen, seine Lebenssituation zu reflektieren.

Florin: In der weltlichen Gesellschaft wäre das einfach seine Privatsache. Das gilt übrigens auch für Laien, die übers kirchliche Arbeitsrecht unter Druck gesetzt werden können, wenn sie keinen katholischen Musterlebenslauf haben.

Kohlgraf: Ich bin nicht bereit, diese Machtperspektive zu akzeptieren. Natürlich trage ich Verantwortung, aber ich definiere meinen Umgang mit meinen Mitarbeitern doch nicht durch die Macht, die ich über sie habe.

Florin: Dass es nur um Macht geht, behaupte ich nicht. Aber es geht auch darum.

Frau Florin, Sie schreiben in Ihrem Buch von der heiligen Therese von Lisieux und ihrem Wunsch, Priester zu werden, was ihr als Frau verwehrt blieb. Therese betet „O Jesus, mit welcher Liebe würde ich Dich in Händen halten! Mit welcher Liebe würde ich Dich den Gläubigen geben!“ Die heilige Therese hat aber schon ein eher antiquiertes Priesterbild. Jedenfalls scheint es ihr nicht darum zu gehen, ihren Anteil an Macht und Einfluss in der Kirche zu bekommen. Ist das überhaupt die richtige Patronin für Ihr Anliegen?

Florin: Sie ist insofern Patronin für mein Anliegen, als ich mich frage, warum die Berufung von Frauen noch nicht einmal geprüft wird. In den lehramtlichen Dokumenten wird diese Berufung als subjektives Empfinden abgetan. Es gibt kein Recht auf einen bestimmten Beruf, es gibt kein Recht auf das Priesteramt, aber es gibt meiner Meinung nach schon das Recht darauf, dass eine Berufung von der Kirche ernst genommen wird – bei Männern wie bei Frauen. Therese hat das Priesterbild ihrer Zeit formuliert, das mag man altmodisch finden. Aber darin unterscheidet sie sich ja nicht von den männlichen Bewerbern ihrer Zeit. Die Frage ist doch: Warum sind Männer, die genau dasselbe Priesterbild hatten, geweiht worden, und sie nicht? Die Antwort lautet: Weil sie eine Frau war.

Was ist eigentlich eine Berufung, Herr Bischof?

Kohlgraf: Ich war einige Jahre im Erzbistum Köln zuständig für die Erstgespräche mit Männern, die sich zum Priesteramt berufen fühlten. Von denen wurde über die Hälfte aus unterschiedlichen Gründen nicht zugelassen. Es gibt auf der einen Seite eine subjektive Gefühlslage des Kandidaten. Auf der anderen Seite ist aber auch die Prüfung und Anerkennung durch die Kirche nötig. Es bleibt die Frage, welche Kriterien die Kirche ansetzt, um bejahen zu können, dass eine Empfindung, die jemand hat, wirklich eine Berufung zum Priesteramt begründet. Sie haben recht: Bei Frauen wird das von der Kirche grundsätzlich bestritten.

Florin: Aber warum ist das Geschlecht so ein entscheidendes Auswahlkriterium, genauer gesagt: das entscheidende Ausschlusskriterium? Dass der Priesterberuf wie viele andere Professionen auch eine bestimmte Eignung und Qualifikation erfordert, ist klar. Aber was an dieser Eignung ist geschlechtsabhängig?

Gibt es Argumente gegen die Weihe von Frauen, die Sie nachvollziehbar finden?

Florin: Theologisch halte ich kein Argument gegen die Weihe für plausibel. Dass Jesus ein Mann war? Dass er nur Männer ausgewählt hat? Politikwissenschaftlich betrachtet ist sicher das Durchsetzungsargument plausibel, also die Behauptung: Das ist in der Weltkirche nicht machbar. Unter machtpolitischen Aspekten kann ich verstehen, dass hier die Spaltung der Kirche heraufbeschworen wird.

Wenn Sie darüber zu entscheiden hätten: Wären Sie bereit, das Risiko eines Schismas in Kauf zu nehmen, um Frauen den Zugang zum Weiheamt zu ermöglichen?

Florin: Da wird eine Drohkulisse aufgebaut. In der anglikanischen Kirche hat die Frauenordination zu einer Abspaltung geführt, aber nicht zu einer Spaltung. Warum sollte es unmöglich sein, Menschen davon zu überzeugen, dass Frauen geweiht werden können? Da habe ich genug Gottvertrauen.

Kohlgraf: Dass ich das anders sehe, werden sie mir zugestehen. Aber das Schisma-Argument halte ich für ein schwaches Argument. Wenn es theologisch zwingende Gründe gibt, Frauen zu weihen, dann müsste man das auch machen.

Auch, wenn die Einheit der Kirche in Gefahr wäre?

Kohlgraf: Ja. Man könnte ja argumentieren, dass sich derzeit auch Menschen von der Kirche abspalten, weil sie den Ausschluss der Frauen von der Weihe nicht akzeptieren können. Sie gründen vielleicht keine neue Kirche, aber sie gehen still. Die zentrale Frage ist: Ist der Ausschluss der Frauen von der Weihe ein Teil der sakramentalen Identität der Kirche oder nicht? Ich bin mir völlig im Klaren darüber, dass ich in diesem Punkt argumentativ auf der schwächeren Seite stehe.

Was halten Sie von folgendem Argument: Die Beziehung zwischen Gott und Mensch wird im Alten und Neuen Testament oft mit Hochzeits- und Ehemetaphern beschrieben. Bei den Propheten heißt es, Israel sei die Braut Gottes. In den Evangelien greift Jesus diese Bilder auf, spricht vom Messias als Bräutigam. Im Zweiten Korintherbrief schreibt Paulus, er wolle die Gemeinde „als reine Jungfrau zu Christus führen“. Im Epheserbrief wird das eheliche Verhältnis von Mann und Frau direkt mit dem Verhältnis von Christus und der Kirche verglichen. Diesen Gedanken übernehmen die Kirchenväter, zum Beispiel Johannes Chrysostomus, für den das ein zentrales Bild seiner Theologie ist. Für ihn sind die Sakramente „Gaben des Bräutigams an die Braut“. So schreibt es Peter Kohlgraf in seiner Doktorarbeit. Wenn nun aber diese sexuelle Symbolik im Christentum so massiv vorhanden ist, hat es dann nicht einen hohen symbolischen Wert, dass der Priester, der gegenüber der gottesdienstlichen Versammlung Christus repräsentiert, ein Mann ist?

Florin: Es gibt in der Bibel auch andere Metaphern. Man kann gezielt diejenigen heraussuchen, die auf die Komplementarität der Geschlechter abzielen. Aber eine solche Symbolik ist für mich historisch bedingt. Bei Jesus selbst finde ich nichts davon. Wo macht Jesus explizit einen Unterschied zwischen den Geschlechtern und sagt: Männer dürfen dieses, und Frauen dürfen jenes?

Kohlgraf: Für mich ist das tatsächlich das entscheidende und letztlich das einzig überzeugende Argument: Der Priester repräsentiert den Bräutigam Christus.

Florin: Das ist doch alles schon Auslegung. Jesus selbst sagt nichts vom Priester als Bräutigam und der Kirche als Braut. Er sagt aber: Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Daran ist nichts geschlechtsspezifisch.

Kohlgraf: Wo sehen Sie denn Jesusworte, die nicht kirchlich vermittelt sind? Wenn Sie sich auf die Suche nach der ipsissima vox Jesu machen wollen, finden Sie bei hundert Exegeten hundertfünfzig unterschiedliche Ansätze. Das haben wir jetzt auch bei der Diskussion um die Vaterunser-Bitte erlebt. Mich überzeugt das nicht.

Florin: Aber enthält diese Braut-Bräutigam-Symbolik nicht sehr viel von einer gesellschaftlichen Wirklichkeit, in der die Autoren der Bibel und die Kirchenväter gelebt haben, die aber nicht mehr die unsere ist? Der Ausschluss der Frauen von der Weihe wurde bis ins 20. Jahrhundert hinein auch damit begründet, dass die Frau minderwertig ist, dass sie sozusagen weniger gottesebenbildlich ist als der Mann. Da könnte ich ja heute auch behaupten, dass darin eine unaufgebbare Weisheit der Tradition zu finden ist. Aber wir sagen heute: Diese Sicht teilen wir nicht mehr. Warum soll in der Bräutigam-Symbolik etwas stecken, was immer noch gültig ist, während man die Unterordnung der Frau heute für überholt hält? Das erscheint mir nicht schlüssig.

Kohlgraf: Für mich ist es immer noch schlüssiger zu sagen, dass ein Mann Bräutigam ist und dass der Priester darum Christus als Bräutigam repräsentiert, als an irgendwelchen traditionellen Argumenten für die Unterordnung der Frau festzuhalten. Dass ein Mann Bräutigam ist, ist doch etwas über Kulturen und Zeiten hinweg Gültiges.

Angenommen, es gäbe Kardinälinnen und eine massive Beteiligung von Frauen in der Kirche, fänden Sie dann den Ausschluss von Frauen von der Priesterweihe akzeptabler?

Florin: Nein, damit legt man nur einen Bypass. Die Frage der Weihe ist nur die Spitze eines sehr viel tiefer gehenden Problems. Kirchliche Dokumente von Johannes Paul II. und Joseph Ratzinger beschreiben Frauen als empfangend und gebärend, berufstätig sollten sie allenfalls im karitativen Bereich sein. Frauen, die ein anderes Selbstverständnis haben, laufen angeblich Gefahr, zu vermännlichen und aus der Rolle zu fallen. Frauen wird also von den Kirchenmännern ein bestimmter Platz zugewiesen. Dass Frauen nicht geweiht werden, ist nur das Ergebnis dieses Platzanweiserverhaltens.

Kohlgraf: Also, ich habe vier Jahre an einem großen Mädchengymnasium im Erzbistum Köln gearbeitet. Wir bilden dort sehr selbstbewusste junge Frauen aus, natürlich auch für ein erfolgreiches Berufsleben. Das zeigt doch, dass wir Frauen nicht auf eine Rolle festlegen wollen, sondern uns daran gelegen ist, dass sie sich in allen Bereichen einbringen.

Florin: Ich war selbst an einer katholischen Schule und weiß, was die Kirche für die Bildung von Frauen getan hat. Das ist ja gerade das Widersprüchliche.

Nun hat Johannes Paul II. 1994 mit dem Schreiben „Ordinatio Sacerdotalis“ eigentlich einen Schlussstrich unter diese Debatte ziehen und eine endgültige Entscheidung herbeiführen wollen. Wie muss man damit umgehen und wie verbindlich ist das Dokument?

Kohlgraf: Ich glaube schon, dass Johannes Paul II. das als eine unfehlbare Lehräußerung verstanden wissen wollte. Aber natürlich kann man auf diese Weise eine Diskussion heute nicht mehr beenden.

Florin: Das Wort des Papstes von 1994 hat sehr wohl dazu geführt, dass in der Theologie einige Jahrzehnte nicht mehr kritisch über die Frage diskutiert wurde. Es war schon die Absicht dieses Papiers, die Debatte abzuwürgen. Eine Zeit lang gab es auch kaum neue Publikationen zu diesem Thema.

Kohlgraf: Das lag aber vielleicht auch daran, dass irgendwann alle Argumente zum Thema ausgetauscht sind.

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