„Cherchez la femme“ im Jüdischen Museum in BerlinAuf Tuchfühlung

Die einen bedanken sich, andere schütteln den Kopf. Die Ausstellung „Cherchez la femme. Perücke, Burka, Ordenstracht“ im Jüdischen Museum Berlin provoziert. Sie trage dazu bei, „dass Frauen respektvoll begegnet wird“, kommentiert ein Besucher im Gästebuch. Der nächste Eintrag beschwert sich, die Schau rechtfertige die Verhüllung und sei inakzeptabel.

Léontine Meijer-van Mensch freut sich über die kontroversen Reaktionen. Sie ist seit Februar Programmdirektorin des Hauses und sagt: „Die Ausstellung ist als Intervention gedacht, die provozieren und einen Diskurs anstoßen will.“ Das Jüdische Museum begibt sich immer wieder in hoch politische Diskussionen. „Deutschland ist eine kulturell und religiös gemischte Gesellschaft. Da stellt sich die Frage: Was ist deutsche Identität? Was ist europäische Identität?“, sagt Léontine Meijer-van Mensch. „Ausgehend von der jüdischen Kultur und Geschichte wollen wir die Perspektive auch der anderen Minderheiten in diese Diskussion einbringen und neue dialogische Felder eröffnen.“ Dazu gehöre auch, Tabus zu brechen.

Nun also Perücke, Burka und Ordenstracht. Über kaum etwas wird politisch so leidenschaftlich gestritten, doch was genau ist ein Niqab oder eine Al-Amira? Und warum tragen fromme Jüdinnen einen „Scheitel“? Schon vor 3000 Jahren verhüllten Frauen zwischen Euphrat und Tigris ihr Haar, um ihre herausgehobene gesellschaftliche Stellung zu markieren. Juden, Christen und Muslime übernahmen den Brauch und verliehen ihm religiöse Bedeutung.

Haremsdamen trugen einen Gesichtsschleier, weil sie stolz darauf waren, nicht am öffentlichen Leben teilnehmen zu müssen. Doch dürfen sich auch heute Frauen dem öffentlichen Leben entziehen? Oder gibt es in der Demokratie einen Zwang, daran teilzunehmen? Und wenn sich eine Frau verweigert? Ist sie dann per se unterdrückt oder doch emanzipiert? Es ist das Verdienst der Schau, dass sie solche Fragen aufwirft. Allerdings hätte man sich vertiefende Informationen über die theologischen Hintergründe gewünscht. Wer mehr wissen will außer den einen Satz, dass die Verschleierung keine religiöse Vorschrift ist, sollte die aktuelle Ausgabe des Jüdischen-Museum-Journals lesen.

Eine Frau, die sich verhüllt, demonstriert, „dass sie sich selbst kontrolliert“, sagt die Soziologin Necla Kelek. Dadurch gestehe sie auch anderen zu, sie zu kontrollieren. Doch sind unverschleierte Frauen freier? Eine „Lotterie der Schamlosigkeit“ listet widersprüchliche Zuschreibungen auf: „Ein kurzer Rock? Zu sexuell aufgeladen. Wundere dich nicht, wenn du vergewaltigt wirst“, heißt es einerseits. Andererseits: „Ein langer Rock? Zu religiös aufgeladen. Du gehörst nicht auf diese Schule!“ Haare sind eben nie nur Haare. Sie verweisen immer auf etwas Anderes, seien es religiöse Gebote oder Modediktate.

Zu den verstörenden Details der Ausstellung gehört die Videoperformance „Undressing“ der Wiener Künstlerin Nilbar Güres. Sie zeigt sich zunächst vollkommen verschleiert und wirkt wie ein entpersonalisierter Block. Dann legt sie Schleier um Schleier ab und nennt dabei die Namen der Frauen ihrer Familie. Als endlich der letzte Schleier fällt und das Gesicht zu sehen ist, seufzen manche Zuschauer erleichtert. Die Vollverschleierung ist schwer erträglich. Doch auch die politische Debatte reduziert die Frauen bisweilen „auf die Rolle stummer Marionetten ihres Glaubens“, wie Güres zurecht kritisiert. Die Ausstellung ist bis 2. Juli zu sehen.

Ab Dezember stellen sich Léontine Meijer-van Mensch und ihr Team einem weiteren brisanten Thema: Sie zeigen eine Schau über Jerusalem. Die Stadt steht im Zentrum des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern und ist für Juden, Christen und Muslimen gleichermaßen ein heiliger Ort. Die Perspektiven der abrahamitischen Religionen werden auch in Meijer-van Menschs Herzensprojekt zusammenkommen: Ab 2019 will sie ein Kindermuseum eröffnen. Im Mittelpunkt wird die Geschichte von der Arche Noah stehen, die in Bibel und Koran eine wichtige Rolle spielt. Wird das Jüdische Museum zu einem multireligiösen Zentrum? „Die Flut ist ein zentrales Menschheitsthema“, sagt Léontine Meijer-van Mensch. „Für Juden leitet sich daraus der Auftrag ab, die Welt nachhaltig ein bisschen besser zu machen. Und zwar zusammen mit unseren Nachbarn.“

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