LeitartikelTappen im Dunkeln

Das Wort der deutschen Bischöfe zum Papstschreiben „Amoris Laetitia“ beendet in Teilen den jahrzehntelangen Konflikt um die Zulassung von wiederverheiratet Geschiedenen zu den Sakramenten. Doch zu dem Grundproblem der schmelzenden Relevanz des christlichen Glaubens bei vielen Menschen fehlt es an Antworten.

Vesper bei der Herbstvollversammlung in Fulda
© KNA-Bild

In der berühmten „Anleitung zum Unglücklichsein" des amerikanischen Psychologen Paul Watzlawick hat jemand in der Nacht seinen Schlüssel verloren und kniet auf der Straße, um ihn zu suchen. Da kommt ein Passant vorbei und fragt, ob er helfen könne, und sucht mit. Als sie aber den Schlüssel nicht finden, fragt der Hinzugekommene den Unglücklichen, ob er sich denn sicher sei, unter dieser Laterne den Schlüssel verloren zu haben. „Nein", antwortet dieser. Er habe ihn dort drüben verloren, dort sei es aber zu dunkel, um ihn zu suchen. In manchem erinnert das Agieren der katholischen Kirche an diesen Schlüsselsucher.

Mit dem Wort der deutschen Bischöfe zum Papstschreiben „Amoris Laetitia" tappt die Kirche keineswegs einfach schlicht im Dunkeln. Es ist auch keineswegs so, dass es falsch wäre, sich auf diese Weise auf die Suche zu machen. Die Öffnung des Sakramentenzugangs für wiederverheiratet Geschiedene ist vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen wie auch pastoralen Entwicklung der zurückliegenden 40 Jahre in der Binnenlogik nur konsequent und auch nachvollziehbar. Und selbstverständlich liegt sie auch auf der Linie von Papst Franziskus, allen Unkenrufen und berechtigten wie unberechtigten Zweifeln (!) zum Trotz. Das Bischofsschreiben ist dann so etwas wie die Laterne in der dunklen Nacht.

Immerhin gibt es Licht, das ist schon viel wert. Nur ob man unter dieser Laterne den Schlüssel zur Lösung der eigentlichen heutigen Probleme findet, ist doch höchst fragwürdig. Das gilt sowohl für die Fragen von Ehe und Familie, die natürlich zu den drängenden in den modernen Gesellschaften, des Westens zumindest, gehören. Das gilt aber auch für die Gestalt und Wirkung der Kirche und ihrer Botschaft, die zwar ein Signal sendet, aber eben doch etwas zerstreut dabei wirkt.

In dem bischöflichen Schreiben wird in üblicher Diktion die Unauflöslichkeit der Ehe betont und zugleich nun der Aspekt der Barmherzigkeit hinzugefügt. Das ist bezogen auf die pastorale Wirklichkeit weiß Gott nichts Neues. Es ist stattdessen vor allem kirchenpolitisch ein Signal, aber eben keines, welches dem eigentlichen Problem so richtig beikommt. Ehevorbereitung, Ehebegleitung, Ehe als Lernort des Glaubens, Umgang mit Zerbrechlichkeit – das sind die Stichworte, die das Schreiben der Bischöfe anbietet, hier sollen „Schwerpunkte entfaltet" werden. Doch das sind eben nicht die verlorenen Schlüssel.

All das gibt es seit Jahrzehnten. Glaubt denn auch nur einer ernsthaft, dass durch eine „bessere Ehevorbereitung" nun auf einmal weniger Ehen scheitern, das Verständnis für die Sakramente sich steigern ließe und schließlich Paare bewusster die Ehe eingehen? „Das hohe Gut, dass das Ehesakrament aus dem Glauben heraus bedeutet, wird jungen Paaren oft zu wenig vermittelt", schreiben die Bischöfe. Wieso aber brauchte es „Amoris Laetitia", um zu dieser Erkenntnis zu kommen? Es hat keiner die deutschen Bischöfe je gehindert, das „hohe Gut" besser zu vermitteln.

Ehevorbereitungkurse haben etwas Paternalistisches

Man wird beim Lesen des bischöflichen Schreibens den Eindruck nicht los, dass der lange Anlauf nur dem einen Zweck dient, den Kern des Schreibens zu bemänteln, der eben die wiederverheiratet Geschiedenen betrifft. Die Behandlung dieses Themas hat aber vor allem einen politischen, vielleicht atmosphärischen Zweck, als dass sie weitreichende pastorale Folgen haben wird. Selbst der Passauer Bischof Stefan Oster räumt in einer Stellungnahme ein, dass es schon bislang eine Praxis gab, die vielen wiederverheiratetet Geschiedenen den Zugang zur Eucharistie ermöglichte. Viel wichtiger wäre nun angesichts des päpstlichen Schreibens, angesichts der jahrelangen Debatte, auch angesichts der dramatischen Zahlen, was kirchliche Trauungen angeht, ein demütiges Schuldbekenntnis der Bischöfe (oder der Kirche), in der Vermittlung der Botschaft offenbar versagt zu haben. Mehr noch: Es ist doch nicht so, dass die Botschaft nur irgendwie schlecht vermittelt worden wäre, was sich nun leicht korrigieren ließe. Dem Format des Ehevorbereitungskurses etwa haftet an sich schon etwas arg Paternalistisches und Aus-der-Zeit-gefallenes an, was sich auch durch noch so viel Nettigkeit oder Wohlwollen beziehungsweise auch Härte und Strenge nicht aus der Welt schaffen lässt.

Es ist eben so, dass für viele Menschen das gesamte kirchliche Angebot zu den Themen Ehe, Familie, Sexualität an Plausibilität und Schlüssigkeit eingebüßt hat oder das Verständnis dafür ganz verloren gegangen ist. Auf die Suche nach einem Lösungsschlüssel für dieses Problem zu gehen, trauen sich die Bischöfe nicht recht, traut sich vielleicht die ganze Kirche im Kern noch nicht. Familienbischof Heiner Koch sagt: Wir tun nur, was der Papst sagt, interpretieren nicht, fügen nichts hinzu. Leider klingt das doch recht defensiv.

Schlüssel zu den Herzen der Menschen

Was bieten die Bischöfe mit ihrem Papier? „Salopp formuliert ein(en) Mittelweg zwischen ‚Ich sag dir, was Du tun musst und was für Dich gut ist‘ und ‚Mach, was Du willst‘", erklärt Koch im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur. So simpel das klingt, eine Botschaft ist das eben nicht. Das ist noch kein Schlüssel zu den Herzen der Menschen. Den aber braucht man, wenn es um den Glauben geht. Und um den geht es. Es geht eben nicht um Verhaltensregeln im sozialen beziehungsweise privaten Miteinander. Es geht nicht um Öffnungsklauseln eines zu harten Gesetzes, es geht nicht um die barmherzige Abschaffung der Folter, die die unauflösliche Ehe möglicherweise eigentlich darstellen würde. Es geht nicht um den barmherzigen Schutzmantel in einer eigentlich unbarmherzigen Kirche. Es geht allein um den Glauben – alles andere sind Ausführungsbestimmungen.

Vielleicht liegt der Schlüssel aber genau in dieser dunklen Zone. Nur wenn die Kirche sich wieder mit den „Basics" ihrer Botschaft beschäftigt, mit der Transzendenz, dem ganz Anderen, das der Glaube an den Auferstanden offenbart, und sich um dessen Verkündigung bemüht, lässt sich viel später vielleicht auch wieder über ein so sperriges wie schönes und sogar Hoffnung spendendes Bild wie das von der Sakramentalität der Ehe sprechen.

Was aber bedeutet das Schreiben der Bischöfe für die Kirche als Ganzes, abgesehen von den Beobachtungen aus den Niederungen der pastoralen Wirklichkeit? Natürlich kann es sein, dass der Kopf erst frei wird für Neues, wenn man mit alten Problemen aufgeräumt hat. In diesem Sinne kann die Laterne der Ausgangspunkt für den Schritt ins Dunkle sein, auch wenn sich eben unter der Laterne der Schlüssel nicht findet. So lässt sich die nun formulierte neue offzielle Praxis bei wiederverheiratet Geschiedenen verstehen, die vor allem die individuelle Gewissensfreiheit betont.

Zurecht fühlt sich das „Forum Deutscher Katholiken" in dem Schreiben der Bischöfe an die„Königsteiner Erklärung" erinnert. Nur bleiben die Konsequenzen, die das Forum aus dieser Parallele vorschlägt, im erschreckend Schematischen verhaftet. Mit der „Königsteiner Erklärung" hatten die deutschen Bischöfe auf die Enzyklika „Humanae vitae" reagiert. Sie hatten dem Verbot der sogenannten künstlichen Empfängnisverhütung nicht direkt widersprochen, sondern die Gewissensentscheidung des Einzelnen betont. Der Zusammenschluss konservativer Katholiken zieht daraus den Schluss, auch jetzt müsse darauf verwiesen werden, dass sich das Gewissen „an der Lehre der Kirche" auszurichten habe, die vermeintlich eindeutig und klar vor Augen steht. Und gewarnt wird dann vor einem „Wohlfühlchristentum", dass es den Gläubigen zu einfach mache, vielmehr müsse die Botschaft des Kreuzes betont werden.

Es zeugt von einer unterkomplexen Engführung der christlichen Botschaft, dass die Annahme des Kreuzes mit Sakramentsverzicht oder Sexualitätsabstinenz zu erledigen wäre. Deswegen räumt Papst Franziskus mit manchen Denkblockaden auf, nicht, weil er den Kern der Botschaft verleugnet, sondern weil er denWeg frei macht zurück zum Wesentlichen, ins Offene, besser: zum Göttlichen. Da unterschätzen Freunde wie Feinde den Papst bisweilen. Ganz so simpel, wie sie bisweilen denken, ist der Weg, den er einschlägt, eben nicht.

Die Pluralität der Deutungen und Konsequenzen, die nationale Bischofskonferenzen oder Diözesen nun aus „Amoris Laetitia" ziehen, muss deswegen in diesem Sinne weniger beunruhigend wahrgenommen werden. Es geht eben nicht um eine Säule des Glaubens, sondern um pastorale Handhabungen, die schon zuvor sehr vielgestaltig waren, nun aber in dieser Unterschiedlichkeit sichtbarer werden. In der Tat ist es für die Einheit der Kirche schädlich, wenn es einen öffentlichen Überbietungswettbewerb in wahlweise besonders starker Liberalität oder auf der anderen Seite Prinzipientreue gibt, und daraus Bistümer, Bischöfe oder Kardinalsrunden ihre besondere Katholizität oder ihre besondere Papsttreue unter Beweis stellen wollen, was dann in der derzeitigen Lage erschreckenderweise auch noch gegeneinander ausgespielt wird. In diesem Sinne ist weder das Papier der deutschen Bischöfe noch das ähnliche Vorgehen der römischen Diözese allein besonders revolutionär, mutig oder in die Zukunft gerichtet, sondern allenfalls ein erster Schritt, sich nun den wahren Problemen, der wahren Schlüsselsuche zuzuwenden.

Zugleich löst auf der anderen Seite auch das Trompeten, wiederverheiratet Geschiedene sollten sich, wenn sie zur Kommunion wollen, sexuell enthaltsam verhalten, oder auch das Fanal, der Papst müsse – um des wahren Glauben willen – korrigiert werden, dann doch nur bei Urhebern wie Rezipienten ein wohliges Schaudern aus, ob dieser selbstverliebten und irgendwie sublimativen Radikalität. Es ist nicht der notwendige Schritt ins Dunkle, um wirklich auf die Suche zu gehen.

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