BuchbesprechungMichael Blume: Islam in der Krise

Überall in Europa schüren Populisten die Angst vor der „Islamisierung“ des Abendlandes. Doch der Religionswissenschaftler Michael Blume kommt zu einem ganz anderen Ergebnis: Der Islam ist theologisch und intellektuell erstarrt, und weltweit kehren Muslime still und leise ihrer Religion den Rücken. Terrorattacken im Namen Allahs seien kein Zeichen der Stärke, sondern ein Zeichen der Schwäche, ein hilfloses „Umsich-Schlagen“ vor dem endgültigen Niedergang.

Blume hinterfragt Statistiken, denkt religiöse und wirtschaftliche Entwicklungen zusammen und hat viele Gespräche mit Muslimen in Europa und in arabischen Ländern geführt. Er liefert keine statistischen Beweise für seine These, trägt aber viele Beobachtungen zusammen: Iraner und Iraker entdecken den Zoroastrismus und das Christentum, Ägypter und Tunesier bekennen sich öffentlich zum Atheismus, und in Deutschland fühlt sich nur eine Minderheit einem der großen Islamverbände zugehörig. Doch wie misst man Religiosität? Moscheen führen keine Mitgliedslisten, Bund und Länder können nicht einmal mit Gewissheit angeben, wie viele Moscheen es gibt. Blume beklagt zurecht, dass deutsche Statistiker oft immer noch automatisch von der Nationalität von Zuwanderern auf die Religion schließen. Doch sein Vorschlag, die Zugehörigkeit zum Islam wie im Christentum vom finanziellen Beitrag zur Moscheegemeinde abhängig zu machen, führt auch nicht weiter. Der „Religionsmonitor“ der Bertelsmann-Stiftung von 2017 beobachtet zudem eine Zunahme der Religiosität in der jungen Generation der Muslime in Deutschland, was der These vom „stillen Rückzug“ widerspricht.

Überzeugend zeichnet Blume die Erstarrung des Islams nach. Sie begann mit dem Verbot des Buchdrucks 1485 in Konstantinopel, was zu einem großen Wissensrückstand zu Europa führte – mit Folgen bis heute. Die Ölvorkommen in arabischen Ländern und der daraus folgende Reichtum zementierten den Rückstand, da die Bevölkerungen wenig Druck zu Veränderungen verspürten. Ob die Erneuerung gelingt, hänge vom Bildungsaufstieg junger Musliminnen ab, schreibt Blume. „Sie beginnen, das westliche Bildungsbürgertum zu erweitern und neue Rollenbilder, Argumente und auch Netzwerke zu entfalten“. Dass die Zukunft weiblich ist, das gilt nicht nur für den Islam.

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Michael Blume

Islam in der KriseEine Weltreligion zwischen Radikalisierung und stillem Rückzug

Verlag Patmos, Ostfildern 2017. 192 S. 19,00 € (D)