Das Reformationsjubiläum 2017Hoffnungsvoll nach vorn gerichtet

Kann das Reformationsjubliäum ein Grund zum Feiern sein? Die Anfragen an das Reformationsjubiläum sind zahlreich. Klar ist aber auch: Im Jahr 2017 soll nicht deutschnational oder protestantisch-abgrenzend, sondern international und im ökumenischen Horizont gefeiert werden. Was aber heißt das im Einzelnen für die kommenden zwölf Monate?

Margot Käßmann, Botschafterin des Rates der EKD für das Reformationsjubiläum 2017, in der Schlosskirche zu Wittenberg
© KNA-Bild

Es jährt sich 2017 zum 500. Mal der sogenannte Thesenanschlag in Wittenberg. Kann das ein Grund zum Feiern sein?

Historisch ist inzwischen höchst zweifelhaft, ob Martin Luther seine 95 Thesen tatsächlich an die Tür der Schlosskirche nagelte, ob es ein anderer war oder ob sie lediglich vervielfältigt wurden. Zudem wird der Beginn der Reformation eher auf die Verbrennung der Bannbulle 1520 festgelegt, 1517 war Luther – wie wir heute sagen würden – ein „Reformkatholik“. Seine Thesen zum Ablasshandel könnten die meisten römischen Katholiken im 21. Jahrhundert abzeichnen.

Und: Ist die Feier eines Reformationsjubiläums überhaupt angemessen? Müssen wir uns nicht die Schattenseiten der Reformation bewusst machen, etwa die folgenden Konfessionskriege oder auch Luthers Antijudaismus? Zudem: Sollte eine Kirche, die mit zurückgehenden Mitgliederzahlen, Spar- und Strukturdebatten zu kämpfen hat, überhaupt feiern? Darf es einen „Event“ geben, wo doch eher wissenschaftliche Debatten angesagt sind? Das sind einige von vielen Anfragen an das Reformationsjubiläum, die mich immer wieder erreichen.

Meine These lautet, um das schon vorwegzunehmen: Wir können sehr wohl feiern im Jahr 2017. Und zwar zum einen die Errungenschaften der Reformation mit Blick auf Glaubens- und Gewissensfreiheit, den neuen Zugang zur Bibel und die Erkenntnis der Rechtfertigung allein aus dem Glauben. Zum anderen aufgrund der fortwährenden Lerngeschichte der Reformation.

Stationen auf dem Weg

Wir wissen heute: Sie wurde von vielen Menschen gestaltet über viele Jahrzehnte hinweg, ja, Reform und Reformation sind bis heute notwendig in Kirche und Gesellschaft. Und wir werden 2017 nicht deutsch-national oder protestantisch-abgrenzend feiern, sondern international und im ökumenischen Horizont.

Das beginnt bereits damit, dass die Evangelische Kirche in Deutschland in den Jahren 2008 bis 2016 das Reformationsjubiläum gemeinsam mit staatlichen Stellen in verschiedenen Themenjahren vorbereitet hat. Münden soll diese Vorbereitung in zentralen Feierlichkeiten, die mit dem Reformationstag 2016 ihren Auftakt nehmen werden, durch eine feierliche Eröffnung des Festjahres in Berlin. Dieser Reformationstag wird auch der Startpunkt für einen partizipativen und internationalen Pfeiler des Jubiläums sein, den sogenannten Stationenweg. In 67 Reformationsstädten Deutschlands und Europas werden die Erinnerungen an die je lokale Reformationsgeschichte hervorgehoben, verbunden mit einer Aktualisierung, die die gegenwärtige Bedeutung des reformatorischen Themas andeutet.

Der Stationenweg mündet am 20. Mai 2017 in dem Beginn der Weltausstellung der Reformation in und um Wittenberg, wobei die Lutherstadt Wittenberg selbst das „Ausstellungsgelände“ werden wird. Was auf dem internationalen Stationenweg wahrgenommen und eingesammelt, gelernt und erkannt wurde, kann ebenso ausgestellt werden wie Beiträge aus anderen Kirchen, aus dem Bereich der Kultur und der Zivilgesellschaft.
Zu dieser Weltausstellung gehört ein Jugendcamp, denn am Ende geht es darum, dass die junge Generation die Reformation und auch die Städte der Reformation entdeckt. Dort wird es Konzerte und Filmfestivals geben, auch Gottesdienste und Gebete und natürlich Diskussionen über Gott und die Welt. Ein Sommerlager mit Tanzen und Beten, Singen und Reden, Lachen und Lieben wird für Jugendliche aus vielen Ländern ein unvergessliches Reformationserlebnis werden.
Ende Mai gibt es einen Deutschen Evangelischen Kirchentag in Berlin sowie regionale Kirchentage, die als Kirchentage auf dem Wege in einigen Städten Mitteldeutschlands stattfinden, in Magdeburg, Halle, Leipzig, Dessau, Erfurt, Jena, Weimar und Eisleben. Alle diese Kirchentage führen hin auf das große Festwochenende vor den Toren Wittenbergs am 27. und 28. Mai 2017 mit Taizé-Nacht, Gottesdienst und Konzert.
In diesem Jubiläumsjahr wird es drei große nationale Ausstellungen in Wittenberg, Eisenach und Berlin geben, mit denen die staatlichen Stellen den Beitrag der Reformation würdigen. Am 31. Oktober 2017 werden national und international an vielen reformatorisch gewichtigen Orten offizielle und öffentliche Festakte begangen werden, die dem Symboldatum angemessene Aufmerksamkeit geben. In Deutschland wird dieser Tag einmalig ein gesetzlicher Feiertag sein. Hier sehe ich besonders die Chancen der Gemeinden, den Tag je vor Ort zu gestalten durch Pilgerwege, Gottesdienste, Feiern.

Besonders wichtig ist der internationale Aspekt. Er wird deutlich, indem Kirchen in aller Welt vor Ort das Reformationsjahr gestalten. Sehr schön symbolisiert das die Neuseeländische Lutherische Kirche, die am 1. Januar 2017 das Festjahr auf den Chatham Islands („first to see the sun“) einläuten wird. Von Indien bis Indonesien, den USA bis Brasilien werden Kirchen fragen: Was bedeuten uns Reform und Reformation heute?
Zudem beteiligen sich Kirchen aus aller Welt an der Weltausstellung „Reformation“, und auf eben dieser Weltausstellung werden Themen aus aller Welt von Spiritualität bis Globalisierung beraten, wird Kunst und Kultur aus aller Welt Reformation reflektieren.

Von Kirchenspaltung oder Gegenreformation wird heute kaum noch gesprochen

Ebenso wichtig ist die ökumenische Ausrichtung. Von einer Kirchenspaltung oder von Gegenreformation wird heute kaum noch gesprochen. Das hatte mir Erzbischof Georg Gänswein in einem Gespräch in Passau vorgeworfen, als er sagte: „Wir sind doch nicht Schuld an der Kirchenspaltung, das ist die Reformation!“ Der Historiker Heinz Schilling, der 2012 die derzeit wohl gewichtigste Lutherbiografie publiziert hat, beschreibt deutlich, dass es „die neuzeitlichen Kräfte der Partikularität“ sind, die das 16. Jahrhundert bestimmen und eine Universalität von Kirche oder Reich am Ende dieses Jahrhunderts nicht mehr denkbar war.
Das aber deutet Schilling nicht als Niedergang. Ganz im Gegenteil: „Erst das Ende des Universalismus ermöglichte die kulturelle und politische Differenzierung Europas und die neuzeitliche Freiheitsgeschichte, langfristig dann auch den weltanschaulichen Pluralismus, ohne den moderne Gesellschaften nicht denkbar sind.“ Insofern können wir sagen, es geht nicht um Kirchenspaltung, sondern um eine notwendige Erneuerung von Kirche und Staat, ja am Ende von Kirchen und Staat. Schilling kommt mit Blick auf unsere heutige Zeit zu dem Schluss: „Die Erfolge, die heute die Päpste mit ihrer Inszenierung der Religion nicht zuletzt unter der Jugend feiern, sind zugleich die Erfolge Luthers, der im Moment drohender Verflachung die existenzielle Kraft der Religion wiederbelebte. So könnte sich auch die katholische Kirche eingeladen fühlen, 2017 zusammen mit den Lutheranern die Reformation wo nicht zu feiern, so doch zu würdigen“.

Die Reformationsepoche hat alle verändert

2017 feiern wir das erste Reformationsjubiläum nach 100 Jahren ökumenischer Erfahrung. Die Kirchen der Reformation verstehen sich ebenso wie die römisch-katholische Kirche als Erben der Alten Kirche (siehe Martin Luther, „Wider Hans Worst“, 1541), und so geht es um eine gemeinsame Geschichte.
Die Reformationsepoche hat alle verändert. Es handelt sich um eine Ausdifferenzierung der abendländischen Kirche, die sich im gesamten 15. und 16. Jahrhundert andeutete und notwendig war in einer Zeit, in der auch im staatlichen Bereich der Universalismus etwa eines Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation nicht mehr zu halten war.

Die römisch-katholische Kirche heute ist nicht dieselbe, mit der Luther und die anderen Reformatoren im 16. Jahrhundert in einen so tiefen Konflikt gerieten. Schon das Konzil zu Trient etwa verabschiedete sich von einem Ablass gegen Zahlung von Geld; das Zweite Vatikanische Konzil im letzten Jahrhundert führte die Messe in der Volkssprache ein. Natürlich, viele der reformatorischen Anfragen etwa an Papsttum, Heiligenverehrung und Amtsverständnis bleiben bestehen. Martin Luther aber wollte seine eigene Kirche reformieren und nicht spalten. Ein rein abgrenzendes Reformationsjubiläum wäre daher nicht sinnvoll.
Weihbischof Hans-Jochen Jaschke aus Hamburg hat erklärt, Luthers 95 Thesen würden heute auch von römisch-katholischer Seite akzeptiert und gesagt, er teile Luthers Kritik am damaligen Ablasshandel (vgl. epd Zentral­ausgabe, 31. Oktober 2008, 11f.).

Und 1999 wurde in Augsburg die „Gemeinsame Erklärung der römisch-katholischen Kirche und des Lutherischen Weltbundes zur Rechtfertigung“ unterzeichnet. Es wurde festgehalten: So wie die beiden Kirchen ihre Lehre heute formulieren, werden sie von den Verwerfungen des 16. Jahrhunderts nicht getroffen.

Schritte auf dem Weg der Annäherung

Die Unterzeichnung der „Gemeinsamen Offiziellen Feststellung zur Gemeinsamen Erklärung“ in Augsburg am 31. Oktober war ein feierliches Ereignis. Es bedeutet nicht – und das war allen Beteiligten klar –, dass nunmehr die Lehrbegriffe der unterschiedlichen Traditionen auf einem gleichen Verständnis beruhen. Aber die Unterzeichnung wurde begrüßt als ein Schritt auf einem notwendigen Weg der Annäherung. Ein Durchbruch schien nahe nach dem Motto: Diese Erklärung wird die Unterschiede nicht beseitigen, hoffentlich aber zur Möglichkeit führen, einander als Gast zum Abendmahl einzuladen.

Dass es gelungen ist, zumindest gemeinsame Formulierungen zu einer theologischen Frage zu finden, an der einst die Einheit zerbrochen ist, dafür können wir dankbar sein. Denn Luthers Erkenntnis, dass der Mensch nicht durch seine Leistungen ein vor Gott gerechtfertigtes Leben führen kann, sondern allein auf Gottes Gnade angewiesen ist, war ja sein entscheidender Durchbruch zur theologischen Rede von der Freiheit eines Christenmenschen, der einerseits niemandem andererseits jedermann untertan ist. Diese Rechtfertigungslehre heute in eine auf Erfolg und Leistung fixierte Gesellschaft zu übersetzen, ist eine gemeinsame ökumenische Aufgabe.

Gewiss, die Glaubenskongregation der römisch-katholischen Kirche hat im Jahr 2000 mit der Erklärung „Dominus Iesus“ erklärt, sie sehe sich weiterhin, trotz aller ökumenischen Fortschritte, allein als die eine wahre Kirche Jesu Christi an. „Die kirchlichen Gemeinschaften hingegen, die den gültigen Episkopat und die ursprüngliche und vollständige Wirklichkeit des eucharistischen Mysteriums nicht bewahrt haben, sind nicht Kirchen im eigentlichen Sinn; die in diesen Gemeinschaften Getauften sind aber durch die Taufe Christus eingegliedert und stehen deshalb in einer gewissen, wenn auch nicht vollkommenen Gemeinschaft mit der Kirche.“

Die ökumenische Dimension des kommenden Jahres

Dennoch sind die ökumenischen Entwicklungen vor Ort und auch in den Kirchenleitungen unübersehbar, denken wir etwa an die „Charta Oecumenica“, die von den europäischen Kirchen 2001 beschlossen wurde, oder auch an die Ökumenischen Kirchentage in Berlin 2003 und in München 2010, die ökumenisch gestaltet wurden.

Der Magdeburger Bischof Gerhard Feige, Vorsitzender der Ökumene-Kommission der Deutschen Bischofskonferenz, hat mit Blick auf 2017 geschrieben: „Insgesamt wäre es entgegen sonst oftmals üblicher Selbstbespiegelungs- oder Profilierungstendenzen für katholische und evangelische Christen auf allen Ebenen sicher entkrampfend, sich gegenseitig noch mehr im Lichte Jesu Christi zu betrachten und neidlos ins Wort zu fassen, was man aneinander schätzt und vielleicht sogar bewundert, worin man spezielle Begabungen erkennt und den Geist Gottes eindrucksvoll am Wirken sieht. Dabei würde bestimmt auch auffallen, was an der evangelischen Kirche katholisch und an der katholischen Kirche evangelisch ist, was man bewahrt, im Gegen- und Miteinander seit der Reformation wiederentdeckt oder von der anderen als Bereicherung empfangen hat“. Das klingt doch hoffnungsvoll nach vorn gerichtet.
Um solche gegenseitige Bereicherung oder auch die kreative Kraft der konfessionellen Differenz erfahrbar zu machen, braucht es für 2017 Zeichen und Symbole. Der derzeitige Papst ist genial darin, sie zu finden. Wie wäre es mit gemeinsamen ökumenischen Pilgerwegen? Pilgern ist nicht rückwärts orientiert, sondern nach vorn gerichtet! So pilgert der Rat der EKD zusammen mit der Deutschen Bischofskonferenz im Oktober 2016 nach Israel, zu den Quellen sozusagen, zu Jesus Christus als dem Ursprung unseres gemeinsamen Glaubens. Und in einem Briefwechsel zwischen dem Vorsitzenden des Rates der EKD, Bischof Heinrich Bedford-Strohm, und dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, ist ebenso festgehalten, dass am Vorabend des 2. Fastensonntages 2017 (Reminiszere) in Hildesheim ein ökumenischer Versöhnungsgottesdienst stattfinden soll, der Elemente der Buße und der Bitte um Vergebung enthält. Er kann in ökumenischen Gottesdiensten der Gemeinden „nachgefeiert“ werden. Zudem beteiligt sich die römisch-katholische Kirche am Europäischen Stationenweg und an der Weltausstellung Reformation in Wittenberg.

So besteht die Chance, dem Reformationsjubiläum 2017 eine deutlich ökumenische Dimension zu geben. Denn das ist doch klar: Bei aller Differenz und dem je eigenen Profil verbindet uns mehr, als uns trennt. Gerade in einem immer säkularer werdenden Umfeld und angesichts der Herausforderungen durch den notwendigen Dialog der Religionen erweist sich dieser Satz als wichtig.
Wie zu Zeiten der Reformation werden wir um eine relevante Sprache des Glaubens zu ringen haben. Unsere gemeinsame Quelle ist und bleibt die Bibel. Wir lesen sie über konfessionelle und nationale Grenzen hinweg. Das wird das Reformationsjubiläum 2017 deutlich machen und damit aufzeigen, in welche Richtung sich das Glaubenszeugnis im 21. Jahrhundert orientiert.

Mehr Beiträge zum Reformationsjubiläum lesen Sie im neuen Herder Korrespondenz Spezial: Nach der Glaubensspaltung. Zur Zukunft des Christentums

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