Wenn muslimische Flüchtlinge um die Taufe bittenSelbstlosigkeit ist gefragt

Manche muslimische Flüchtlinge wollen – aus ganz unterschiedlichen Gründen – Christen werden, in nicht wenigen Freikirchen können sie sich vergleichsweise schnell taufen lassen. Welche islamwissenschaftlichen und theologischen Kriterien sollten für das kirchliche Handeln maßgeblich sein?

Die „Erkenntnis Christi“ (Phil 3,8) ist ein einzigartiger Grund zur Freude. Ihn wird man niemandem vorenthalten wollen. Die Behauptung, dass Islam und Christentum nichts Grundverschiedenes böten und ein Religionswechsel daher unangebracht sei, verkennt die Radikalität des Evangeliums: Wer sich auf die Gemeinschaft mit Jesus, den vom Kreuzestod auferstandenen Herrn, einlässt, lebt in der Freiheit der Gotteskinder (Phil 3,8–10; Röm 8,21). Sich darauf einzulassen – das wird jedoch erst möglich im Laufe eines geistlichen Weges.

Mit dieser Formel verarbeite ich auch meine eigenen Erlebnisse zwischen 2002 und 2008 als Mitarbeiter der katholischen Pfarrei von Ankara. Ich habe damals einige Menschen aus muslimischen Familien auf ihrem Weg zur Taufe begleitet. Was bedeutet es, dass die Taufe einer Muslima, eines Muslim ein geistlicher Weg sein muss?

Ein Weg – das besagt zuerst einmal, man braucht Zeit. Die Regel der lateinischen Kirche im Nahen Osten heißt: drei Jahre Katechumenat. So lange? Freut ihr euch denn nicht, dass wir kommen? Wollt ihr, dass wir zu einer evangelikalen Gemeinde nebenan gehen, die uns übernächsten Sonntag tauft? Die Enttäuschung ist nachvollziehbar, wenn Katechumenat bloß Wartezeit ist, eine Frist. Katechumenat kann aber ein durchdacht gestalteter Vertiefungsweg sein.

Zum einen sind die meisten erwachsenen Taufbewerber ohnehin wissbegierig. Vermittlung von Glaubenswissen ist durchaus am Platz. In Ankara haben wir sogar die türkische Übersetzung des Katechismus der Katholischen Kirche gelesen – und diskutiert; die Katechumenen kamen auch mehrheitlich aus dem universitären Milieu. Der Text erwies sich als anregend; übrigens auch für geistlichen Austausch. Er ist nämlich bildreicher in seiner Sprache, als mir vorher klar war. Stoff für die Auseinandersetzung bot gerade die Übersetzung: einerseits die Formulierungen in einer Sprache, die es gewohnt ist, muslimische Wirklichkeiten zu benennen – andererseits natürlich die Übertragung ins jeweils eigene Leben.

Erwachsene Taufbewerber kommen in solche Unterrichtssitzungen nicht mit den kritischen Fragen, die ihre christlich aufgewachsenen Altersgenossen haben. Kritisch gegenüber der Kirche war man höchstens, wenn es um die Öffnungen des Zweiten Vatikanums ging. Einige wünschten sich mehr katholisches Profil. Spürbar war anfangs eine Faszination für die als Klarheit empfundenen Abgrenzungen rechtskatholischer Kreise, die allerdings nur aus dem Internet bekannt waren.

Dass Katechumenen mit muslimischer Herkunft nach argumentativer Glaubensbasis suchen, ist gut verständlich. Nicht, dass die Taufbewerber selbst noch überzeugt werden müssten. Die Begegnung mit ihnen ist kein wirklicher Dialog. Sie vertreten häufig gerade keine andere Sichtweise, sondern wollen mindestens so katholisch sein wie ihre katholische Begleitung. Jedoch werden sie – besonders in ihrem Herkunftsumfeld – den typischen islamischen Infragestellungen des Christentums begegnen. Es ist natürlich angenehm, wenn man einer islamischen Anfrage mit einer flotten Formel parieren kann, am besten mit einer, die gleich den gesamten Islam als falsch erweist. Was hier, meist von US-amerikanischen Bibelbewegungen, online geboten wird, führt aber gewöhnlich eher zu Streit als zu tieferem Verständnis des eigenen und fremden Glaubens.

Katholischer als Katholiken?

Hilfreich ist vielmehr, sich vor Augen zu halten, dass die beiden Religionen von anderen Schlüsselerfahrungen ausgehen und dass alle muslimischen Einwände voraussetzen, Gott, Welt und ihre Beziehung zueinander könnten nur das sein, was man islamischerseits gewöhnlich dafür hält.

Dass sich in Islam und Christentum wirklich unterschiedliche Grundannahmen begegnen, kann sich kaum in der hitzigen Debatte erweisen, durchaus aber im wohlwollenden Austausch: Offenbarung ist für den Islam die immer wieder inhaltsgleich ergehende göttliche Willenskundgabe, christlicherseits aber Gottes in der Geschichte voranschreitende Verwandlung der Schöpfung, deren Fülle in Christus bereits sichtbar ist. Auf die den Anfragen zugrunde liegenden islamischen Voraussetzungen achtet das von Christian Troll gegründete und vielsprachig arbeitende Internetprojekt „Muslime fragen – Christen antworten“.

Der Weg eines Katechumenats kann allerdings nicht nur informativ sein; er muss auch „formativ“ sein. Der Bewerberin, dem Bewerber muss er nämlich helfen, in eine persönliche Beziehung zum Vater Jesu Christi hineinzuwachsen.

Gottestreue und Glaubenserfahrung

Das verlangt gerade bei der Taufe von Muslimen besondere Sorge. Warum? Zum einen wird das Christwerden für sie auch familiäre Spannungen und die Empfindung eines Kulturwechsels mit sich bringen. Daher erfahren sich Christen aus islamischem Hintergrund nicht selten als in ihrer Treue zu Gott angefragt, aber auch als nicht mehr vom gewohnten Umfeld getragen, ja als alleingelassen und sogar angefeindet.

Zweitens ist beim Katechumenat von Muslimen die Eröffnung von persönlicher Glaubenserfahrung besonders wichtig, weil sie vor sich selber und anderen häufiger Rechenschaft über einen Schritt ablegen müssen, der in koranischer Optik als unerhörter Verrat des reinen Monotheismus aussieht, und zwar auch auf philosophisch-begrifflicher Ebene. Hier helfen nun aber nicht die auswendig lernbaren Formeln allein. Wer nur Katechismusworte wiederholt, steht noch nicht im Erfahrungsraum des Christusgeschehens, das die Kirche mit ihren immer neuen, spannungsreichen Ausdrücken bezeugt und das „den Griechen eine Torheit“ bleiben kann (1 Kor 1,22).

Wenn die muslimischen Kandidatinnen und Kandidaten nicht aus einem glaubensfernen Lebenszusammenhang kommen, sondern eine islamisch-geistliche Praxis mitbringen, besteht diese drittens gewöhnlich zwar in einer lebendigen Empfindung der Gegenwart Gottes. Aber die wenigsten muslimischen Frömmigkeitstraditionen üben eine persönliche Gottesbeziehung, ein individuelles Hören auf Gott, ein neues „Lesen“ seines Wortes und seines Handeln im eigenen Leben ein. Dass ein Leben in Gottes persönlicher Vaternähe nicht auf Kosten der bereits zuvor gelebten Ehrfurcht geht, ist dann häufig eine befreiende Erfahrung von Weiterführung statt Abbruch einer bisherigen Gottsuche.

Wir haben jede Unterrichtssitzung mit einem Austausch begonnen, in dem die Teilnehmer lernen konnten, ihre derzeitige Glaubenserfahrung zu versprachlichen und ansatzweise zu verstehen. Regelmäßig gehaltene Evangelienbetrachtungen eröffneten außerdem einen lebendigen Zugang zur Heiligen Schrift und zur Jesus-Geschichte. Wir haben auch die traditionellen Formen der römischen Kirche eingeübt und ihre Zeichen erkundet.

Viele Konvertiten haben besondere Freude daran, das Formale ihrer neuen Identität zu pflegen. Rosenkranz und eucharistische Anbetung mögen für manchen Firmling unserer Breiten unattraktiv sein – für die Muslime waren es besonders beliebte Gebetsformen. Einige Katholiken meinen, man könne Katechumenen daran erkennen, wie bewusst sie das Weihwasser nehmen und die Kniebeuge vollziehen. Interessiert zeigten sich die Taufbewerber auch an liturgiegeschichtlichen Erschließungen. Da viele von ihnen bereits Kontakt mit Freikirchen gehabt hatten, war ihnen eine würdige, traditionsbewusste Messfeier besonders wichtig. Sie ließen sich gern zu einer immer einfühlsameren Teilnahme an der Gemeinde-Eucharistie begleiten, aber ebenso zur Teilnahme am sozialen Leben der Pfarrei: an der Geselligkeit wie am karitativen Einsatz.

Versöhnung mit der Herkunft

Hilfreich auf diesem geistlichen Weg war auch, dass wir die Rollen zwanglos unter verschiedenen Patres aufteilen konnten. Glaubenskunde und Einzelexerzitien, das ist zweierlei; noch etwas anderes ist das Gemeinschaftserlebnis oder die Diakonie. Die Arbeitsteilung hatte wünschenswerte Nebenwirkungen. So gut es ist, wenn Taufbewerber die eine Bezugsperson haben und sie im Laufe der Zeit von verschiedener Seite kennenlernen – etwa als intellektuell und spirituell und kulturell und zwischenmenschlich kompetent: Es ist doch Vorsicht geboten, wenn sich den Taufbewerbern das ganze Christentum in der einen Person zu verkörpern scheint. Eine andere Ansicht oder gar eine Variation in der Gebetsform lehnen sie dann möglicherweise als „unkatholisch“ ab, nur weil es sich um eine Abweichung von dem handelt, was ihnen im Erstkontakt vertraut geworden ist. Der geistliche Weg ist Weg in die Gemeinschaft Christi, also auch in die Vielförmigkeit der Kirche.

Ob ein Übertritt personfixiert ist, das lässt sich kaum beurteilen; man muss auch nicht urteilen, man muss nur die Gefahr sehen. Der ägyptisch-stämmige Journalist Magdi Allam etwa schrieb: „Meine Konversion ist durch die Hand Benedikts XVI. geschehen, in der Osternacht 2008.“ Mit dem Ende von dessen Pontifikat sei auch seine Kirchenzugehörigkeit beendet, erklärte er wenige Tage nach der Amtseinführung von Papst Franziskus; eine Kirche, die so hochachtungsvoll mit dem Islam umgehe, sei relativistisch und deshalb gefährlich.

Die Geschichte des Journalisten ist unter verschiedener Rücksicht lehrreich. Wenn eine Konversion zu Christus ein geistlicher Weg ist, ist sie auch ein Weg der Versöhnung. Wer sich taufen lassen will, muss bereit sein, sich auch mit seiner „Herkunft“ versöhnen zu lassen. Wie kann sich etwa eine Taufbewerberin mit dem muslimischen Teil ihrer Familie versöhnen, der sich möglicherweise angesichts des Glaubenswechsels verletzt, aggressiv und vielleicht neuer­dings auch entschiedener muslimisch zeigt? Eine Spannung wird oft bestehen bleiben; jedoch kann man sich nicht wenigstens wieder als Mitglieder derselben Familie anerkennen? Vielleicht mit der Vereinbarung: Wir reden zwar wieder mit dir, aber nicht mehr über Religion. Auch wo die Herkunftsfamilie die Versöhnung derzeit verweigert, sind die Taufbewerber zu einem wenigstens inneren Versöhnungsweg mit den Ihren herausgefordert.

Auf dem Weg zur immer tieferen Christusgemeinschaft aber sollte Versöhnung auch geschehen können mit „dem Islam“. Wer aus Hass oder zumindest in Verachtung der Religion seiner Vorfahren Christ werden will, ist noch ganz am Anfang des Weges Jesu. Von daher ist auch der von einem Pfarrer in Deutschland vorgesprochene Einschub in das Taufversprechen „Ich sage mich los vom Islam“ zu befragen. Er steht in der Nähe von „Widersagst du dem Satan?“. Zur Selbstwahrnehmung oder -stilisierung von Konvertiten gehört häufig das Bekenntnis, dass in ihrem Leben alles Frühere Unrat gewesen sei (Phil 3,8). Wer aus einem muslimischen Zusammenhang kommt, kann im Laufe der Zeit aber auch dahin gelangen, den Islam nicht bloß als den Kontrast zur neu entdeckten heilen Glaubenswelt zu sehen. Immerhin gehört auch der Islam zur eigenen Lebensbahn und damit doch wohl zu dem Weg, der ans Taufbecken geführt hat. Man kann die islamischen Glaubensformen als praeparatio evangelica verstehen lernen, etwa nach dem Muster: Was ich nun finde, habe ich dort zu ersehnen gelernt. Dann ist das Frühere nicht abgebrochen, sondern hat seine Fortsetzung gefunden, ja seine Erfüllung.

Staunen statt Triumph

Der erwähnte ägyptischstämmige Journalist Magdi Allam hatte Taufvorbereitung vom Neuevangelisierungs-Erzbischof Rino Fisichella und entsprechend viel Medienaufmerksamkeit erhalten. Taufname wurde „Cristiano“; und Taufpate Maurizio Lupi, der Vizepräsident des italienischen Parlaments, bezeichnete den Glauben seines „perfekt integrierten“ Patensohns in der Presse als „eclatante“. Für die geistliche Unterscheidung kann an dieser Stelle ein weiterer Gesichtspunkt hilfreich sein: Ja, wenn ein Mensch zum Christentum findet, werden sich Christen dankbar freuen. Jedoch wird man sich davor hüten müssen, die Konversion eines Muslim als Triumph zu feiern. Angemessener werden Empfindungen sein, die vor dem Geheimnis eines jeden Berufungsweges staunen. Ein wahrhaft geistlicher Weg ist das Wirken des Geistes, nicht unser Erfolg, kein Punktgewinn. Die Kirche sollte jeden, der die Nachfolge Christi antritt, betend begleiten, dass er im Glauben wachsen kann und dass er in der Kirche und an der Kirche, die er nun immer illusionsfreier kennenlernen wird, nicht irre wird und zu Fall kommt, sondern weiterwächst.

Freiheit und Glaube

Daher ist es auch zu instrumentell gedacht, wenn Christen meinen, sie „führten“ einen Muslim zu Christus. Ein geistlicher Weg verlangt von der christlichen Seite vor allem das, was Papst Franziskus die „Kunst der Begleitung“ nennt: zu lernen, vor dem heiligen Boden des Anderen die Schuhe auszuziehen (Evangelii Gaudium, Nr. 169). Die Christen sind dazu gesandt, Zeugnis abzulegen. Was das Gegenüber damit tut, kann der Zeuge nicht steuern. Wie immer der Weg der anderen Person verlaufen wird, kann man jedoch darauf vertrauen, dass er sich als der Weg des Herrn erweisen wird. Charles de Foucauld hat auf die Frage, ob er für die Bekehrung der Muslime zum Christentum bete, geantwortet: Ich bete, dass sie den Willen Gottes erfüllen. Damit sagt er offenbar, dass sein Lebenszeugnis jedem dazu helfen kann, sich tiefer dem Ratschluss Gottes zu öffnen; worin der Plan Gottes besteht, das kann der Zeuge nicht festlegen. Es ist ein nicht sofort einleuchtendes Paradox: Gerade wenn eine Religion aufhört, Glauben im andern herstellen zu wollen, schafft sie Raum für Glauben. Denn Glaube ist Liebeserkenntnis, ist das erkennende und wollende Ja eines Menschen zu Gott; und das erfordert Freiheit.

Selbstverständlich ist Freiheit irdisch nie vollkommen zu haben oder auch nur festzustellen. Das gilt ja für alle orientierenden Ideale, wie Wahrheit und Gerechtigkeit. Dennoch ist, wenn eine Muslima, ein Muslim sich auf den Weg zur Taufe begibt, die Frage von grundlegend orientierender Bedeutung: Geschieht das in Freiheit? Ein Taufbewerber fragte mich in Ankara beim zweiten Treffen zu meinem Erstaunen, wann er nun das Schengen-Visum bekomme. Menschen können auch in Europa mit gemischten, können sogar mit unlauteren Motiven einen Weg zum Christwerden antreten: die Aussicht, Vorteile bei der Integration und Versorgung zu haben, die Hoffnung, leichter Kontakte und Arbeit zu finden, die Vermutung, dann nicht mehr fremd zu sein, der Eindruck, das Christentum sei moderner oder rationaler, frauenfreundlicher oder bequemer als der Islam, die Vorstellung, die Taufe gehöre einfach zur hiesigen Kultur.

Gleich mit welchem Vorverständnis Muslime kommen: Es gehört zu einem geistlichen Weg, sich über seine ersten Beweggründe zunehmend klarzuwerden. Unlauteres darin zu erkennen heißt nicht, den Weg abzubrechen. Vielmehr geht es darum, die Motivation zum Weitergehen immer mehr zu wirklich religiösem Glauben werden zu lassen. Dazu gehört auch, dass Gesellschaft und Gemeinde deutlich machen: Recht, Hilfe und Verständnis finden Menschen, die keine Christen werden, in gleichem Maße; ja, wir erkennen eine Gewissensentscheidung gegen das Christwerden mehr an als eine Taufe, die ihren opportunistischen Beigeschmack nicht loswird. Der Taufbewerber, der nach dem Schengen-Visum gefragt hatte, ist übrigens von alleine weggeblieben.

Schutz von Konvertiten

Nach Europa fliehende Muslime können nicht für die Diskriminierungen und Verfolgungen in ihrer Heimat verantwortlich gemacht werden. Die beiden Seiten neu nahegerückte Möglichkeit der Konversion zum Christentum ist jedoch auch Anlass, eine Forderung zu äußern, und zwar gegenüber islamischen Vertretern in Politik, Medien, Religionsverwaltung, Seelsorge und Wissenschaft: Es gibt bisher keine glaubwürdige und breit bekannte Erklärung, dass ein Religionswechsel wie der von Muslimen zum Christentum islamischerseits anerkannt wird. Einzufordern ist daher, dass die Verantwortlichen in ihren Zuständigkeitsbereichen darauf hinwirken, die in der Tradition vorgesehene Hinrichtung des Apostaten (murtadd) aus Rechtsprechung und Mentalität zu tilgen.

Juristisches Ziel ist der Rechtsschutz von Konvertiten in jedwede Richtung, von öffentlicher Religionsausübung einschließlich Werbung für den eigenen Glauben und von Religionskritik einschließlich erklärtem Atheismus. Gesellschaftliches Ziel ist ein Klima, in dem die Anerkennung von Religionsfreiheit einschließlich Religionswechsel nicht als Selbstverrat oder Konzession an eine relativistische Moderne dasteht, sondern im Gegenteil als Ermöglichung echter Religiosität.

Der Koran steht dem nicht im Wege. Wie das? Er ist kein Manifest von Glaubenszwang. Er wendet vielmehr allen Charme, alle sprachliche Kraft, alle rhetorische, argumentative und bildliche Wucht auf, um sein Ziel zu erreichen: Der Koran ist nämlich Ruf zur Bekehrung und setzt damit selbst voraus, dass die Menschen die Freiheit haben, ihren Glaubensweg zu ändern.

Ein Übertritt aus islamischem Hintergrund zur Gemeinschaft Christi soll ein geistlicher Weg sein: das war hier das Leitwort; ein geistlicher Weg allerdings nicht nur für die Konvertitin, den Konvertiten. Es muss ein geistlicher Weg für alle Beteiligten werden. In diesem Sinne sind abschließend vier Fragenkomplexe anzusprechen. Sie können heilsame Herausforderungen darstellen und so helfen, die eigenen Beweggründe zu klären.

Die Taufbewerber können sich der Frage stellen, was sie, bei allem Zugewinn, den sie durch das Christwerden erhoffen, aufgeben. Die Nachfolge Jesu ist kein Leben der „Abgesichertheit“ (Rotraud Wielandt). Können sie sich bei aller Entschiedenheit mit einer dialogischen Kirche identifizieren? Sind sie bereit, nach allem Heimatverlust den Ruf Jesu in ein aufgebrochenes Leben barmherziger Feindesliebe täglich neu auf sich wirken zu lassen?

Die kirchlichen Gemeinden sind zu fragen: Seht ihr die Neuzugänge auch als Mitgläubige, die Neues in die Pfarrei einbringen? Aber ebenso: Wie geht ihr mit den Muslimen um, die sich nicht zur Taufe entschließen? Die Großzügigkeit und Barmherzigkeit, zu der sich Mitglieder der Kirche in Christus befähigt und befreit empfinden, erweist sich an der Bereitschaft zum selbstlosen Dienst. Selbstloser Dienst ist nicht jene Hilfe, die auf Mitgliedszahlen-Steigerung schielt oder sich nur um die kümmert, die zu uns gehören.

Hier ist auch eine Bitte an die nahöstlichen Christen zu richten: Sie bezeugen alte und schmerzhafte Leidensgeschichten ihrer Kirchen und Völker. Das darf sie aber nicht in ein geradezu rassistisches Denken führen. Können sie ihre Rolle als kulturell-religiöse Vermittler entdecken? Mir hat eine Maronitin, die mehrere Jahre in Deutschland verbrachte, gesagt: „Solange ich mein libanesisches Christsein als Islam-Hass lebe, ist Christi Liebe noch nicht wirklich angekommen in meinem Herzen.“ Inzwischen ist sie Ordensschwester.

Die Katecheten und Begleiter schließlich können überprüfen, ob bei ihnen ein Gewinnenwollen mitspielt, indem sie sich fragen, was sie den Taufkandidaten über die anderen christlichen Konfessionen vermitteln. Wenn das Eigene als das grundsätzlich Überlegene dasteht, ist es wohlmöglich noch kein Zeugnis für den liebevollen Blick Christi auf die anderen. Er konnte ja seinem eigenen Volk über den Andersgläubigen sagen: „Nicht einmal in Israel habe ich einen solchen Glauben gefunden“ (Lk 7,9).

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