Was die Theologie in Asien bewegtIm Horizont der Religionen

Die Religionen Asiens sind eine unausweichliche Herausforderung für die dortige Theologie. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat sich in Asien eine eigengeprägte theologische Landschaft entwickelt, die vom römischen Lehramt vielfach mit Argwohn betrachtet wird. Hermeneutische und inhaltliche Grundfragen christlichen Theologietreibens stehen auf dem Prüfstand.

Interreligiöser Dialog ist für die asiatischen Theologen mehr als nur ein besonderes Problem unter vielen anderen, sondern es ist ein heuristisches Prinzip zur Entwicklung einer genuin asiatischen Theologie geworden. Bei der Umsetzung der neuen Einsichten zu den anderen Religionen spielten die vielen Seminare für Bischöfe zum interreligiösen Dialog eine große Rolle. Durch sie erfuhren fast alle asiatischen Bischöfe eine mehrtätige Schulung durch Fachleute in Fragen des interreligiösen Dialogs. Aus der Erkenntnis heraus, dass ein interreligiöser Dialog, der sich ausschließlich auf das Gebiet der Religionen beschränkt, unwirksam bleibt und irrelevant wird, wenn er nicht die soziale Wirklichkeit von Armut und struktureller Ungerechtigkeit einbezieht, wurde die Seminarreihe „Interreligiöse Begegnung im Verbund mit Sozialer Aktion“ geschaffen.

Die „Theologische Beratungskommission“ beziehungsweise das „Büro für theologische Anliegen“ der „Vereinigung der asiatischen Bischofskonferenzen“ (FABC) hat grundlegende Beiträge für die Entwicklung einer eigenständigen Theologie der asiatischen Ortskirchen geleistet. Zu nennen sind die Beiträge auf dem Gebiet der Theologie der Religionen, der Ortskirche, des Verhältnisses von Staat und Religion und vor allem der theologischen Methode. Die von der Kommission entwickelte „Theologie der Harmonie“ hat leider nicht die ihr gebührende Würdigung und Rezeption in der theologischen Ausbildung in den asiatischen Ortskirchen gefunden. Der positive Rückblick auf die Arbeit der FABC in den letzten Jahrzehnten kann nicht übersehen, dass in den letzten Jahren die innovative Kraft der Aktivitäten der FABC abgenommen hat.

Die Gründe sind vielfältig und haben mit dem altersbedingten Ausscheiden führender Bischöfe und Theologen und der vom zentralen Lehramt theologischen Neuansätzen gegenüber kritischen und oft ablehnenden Haltung zu tun. Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren die Zunahme radikaler Tendenzen verbunden mit der Bereitschaft, Gewalt im Namen der Religion auszuüben, wie sie im Islam, im Hinduismus, im Buddhismus, aber auch im Christentum zu beobachten sind, die Berechtigung und den Nutzen des interreligiösen Dialogs massiv in Frage gestellt haben.

Angesichts dieser Belastungen in den Beziehungen zwischen den Religionen ist es wichtig, dass die asiatischen Kirchen am interreligiösen Dialog als integrale Aufgabe festhalten. Sie sind sich dabei bewusst, dass der interreligiöse Dialog auf einer vertieften theologischen Einsicht des Stellenwerts der anderen Religionen basiert. Für den tatsächlich stattfindenden Dialog gilt sicher die Aussage, dass es einen Dialog nur auf der Grundlage einer gegenseitigen Bereitschaft, in Offenheit und in gegenseitiger Anerkennung sich zu begegnen, geben kann. Es gibt Situationen, in denen die konkreten Gegebenheiten den Dialog hier und heute unmöglich machen. Aber solche negativen Erfahrungen berühren nicht das theologische Fundament des Dialogs und einer Theologie der Religionen, da es zum Dialog keine Alternative gibt, wenn man einen „Kampf der Kulturen und Religionen“ vermeiden will.

Innerhalb der Christlichen Konferenz Asiens (CCA), dem Zusammenschluss der protestantischen Kirchen in Asien, wurden in den letzten Jahrzehnten gezielte Anstrengungen gemacht, im Rückgriff auf asiatische religiöse und kulturelle Traditionen neue Formen einer asiatischen inkulturierten Theologie zu entwickeln. Asiatische Theologen arbeiteten zusammen in der Theologischen Kommission der CCA und entwickelten neue Formen der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen theologischen Einrichtungen in Asien, wie etwa die „Vereinigung der theologischen Ausbildung in Südostasien“ (ATESEA), die den Austausch von Professoren, gemeinsame Anerkennung von Studienabschlüssen und gemeinsame Projekte möglich machte. Das bekannteste Projekt theologischer Zusammenarbeit ist das „Programm für Theologie und Kulturen in Asien“ (PTCA), das von den Theologen C.S. Song, Peter Lee, Yeow Choo Lak und John England 1983 in Hongkong begonnen wurde. Mehrere Jahre hindurch hat die PTCA mehrwöchige Seminare für junge Theologen und Theologinnen aus verschiedenen asiatischen Ländern durchgeführt, die unter dem Leitwort standen: „Theologie betreiben im Rückgriff auf asiatische Quellen“.

In Indien war D.S. Amalorpavadass (1932–1990) der Pionier der Umsetzung der Einsichten des Zweiten Vatikanischen Konzils, der mit groß angelegten nationalen Seminaren und Programmen in dem von ihm gegründeten und lange Zeit geleiteten „Nationalen Zentrum für Bibelarbeit, Katechese und Liturgie“ (NBCLC) in Bangalore das Anliegen der Inkulturation der christlichen Botschaft in die indische kulturelle und religiöse Tradition kraftvoll vorangetrieben hat. Mit vielen anderen indischen Theologen sah er den Anknüpfungs- und Begegnungspunkt für die christliche Botschaft in der von den Brahmanen bestimmten hinduistischen Hochkultur. Das galt für die Frage, inwieweit die Heiligen Schriften des Hinduismus auch als Quelle und Ressource für christliche Theologie Verwendung finden könnten. Dies galt auch für die Übernahme bestimmter aus dem Hinduismus stammender Gebetshaltungen, für architektonische Vorgaben für den Kirchenbau und für die Anpassung liturgischer Bräuche an landesübliche Formen, wie den Gebrauch der Öllampe statt der bis dahin in christlichen Gottesdiensten üblichen Kerzen, der Einführung der Feuerbegrüßung arathi, der Verbeugung statt des Kniens, sowie der Übernahme bestimmter Formen des Ashram-Modells für das christliche monastische Leben in der Meditation und spirituellen Führung (Guru).

Ein wichtiger Aspekt bei der Entwicklung eigener indischer theologischer Modelle und Methoden spielte die so genannte „advaitische Theologie“, also das Aufheben der Dualität „Gott und Geschöpf“, „Kosmos und Individuum“, eine wichtige Rolle für eine asiatische Theologie, die auf die grundsätzliche Einheit aller Dinge setzt. Eine solche Theologie ist hilfreich bei der Vermeidung von Konflikten und des Schaffens von Frieden. Sie ist auch von Bedeutung für eine Theologie des kirchlichen Dienstes, die auf grundsätzliche Gemeinsamkeit und Einheit aller setzt und nicht auf eine hierarchische Differenzierung.

Anfänglich kam Kritik und Einspruch gegen die Umgestaltung christlicher Traditionen in Anpassung an indische Vorgaben eher von der Hierarchie und besorgten Laien der oberen Schichten. Dies änderte sich grundlegend, als die ersten Theologen aus den Kreisen der Dalit sich mit einer viel weitergehenden Kritik zu Worte meldeten. „Dalits“, wörtlich: „die Gebrochenen“, nennen sich die Angehörigen der Kastenlosen („outcasts“) beziehungsweise der Unberührbaren („untouchables“), die durch die von ihnen ausgeübten Berufe wie Kadaverentferner, Abortreiniger, Straßenkehrer und Gerber als „unrein“ gelten. Die Bezeichnung „Harijans“ (= Kinder Gottes), die Mahatma Gandhi für sie geprägt hat, haben die Dalits nie akzeptiert und eher als Verhöhnung empfunden.

Als Angehörige der Volksgruppen, die außerhalb der indischen Kastenordnung stehen, sahen sie in einer Inkulturation in die höhere sanskritische Tradition keinen wirklichen Schritt hin zu einer neuen christlichen Identität. Die Annäherung an die kulturellen Errungenschaften der höheren Kasten Indiens, die sie als Herren und Ausbeuter erlebt haben und erleben, erschien ihnen als eine neue Rückbindung an die Kultur ihrer Unterdrücker. Die wenigen Theologen aus den Reihen der Dalits haben seit einigen Jahren begonnen, eigenständige Formen einer „Dalit-Theologie“ zu entwickeln.

Eigenständige Ansätze in Südkorea und Japan

Die Ursprünge der Minjung-Theologie gehen in die Zeit der Militärdiktatur (1961–1988) in Südkorea zurück, als die Arbeiter, Bauern und Fischer einen schweren Preis für die beschleunigte Industrialisierung und wirtschaftliche Entwicklung des Landes zu zahlen hatten. Wichtige Anstöße für die Minjung-Theologie hat der katholische Dichter Kim Chi-Ha gegeben, der durch seine Gedichte und Theaterstücke die Situation der Unterdrückung des einfachen Volkes durch die Militärdiktatur zum Ausdruck brachte. Koreanische Theologen entwickelten ihre eigene Christologie, indem sie aufs Neue die Rolle Jesu als Messias reflektierten, wie sich in der biblischen Tradition und im populären Messianismus innerhalb des Buddhismus der Maitreya-Tradition und in der Volksreligiosität der koreanischen Tonghak Überlieferung findet. Durch seinen Tod am Kreuz hat Jesus den römischen politischen Messianismus demaskiert und durch seine Auferweckung von Toten hat er das messianische Reich der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens errichtet. Indem sie seinem Beispiel folgen, können alle Unterdrückten und Marginalisierten zu Subjekten ihres eigenen Schicksals werden und ihren Platz in der Geschichte selber bestimmen.

Jesus ist einer der Minjung, einer des gemeinen Volkes, geworden, hat sich den Unterdrückten und Verfolgten zugesellt, die von den Reichen und Machthabern ausgebeutet werden. Die Christologie der Minjung-Theologen hat einen kenotischen Charakter, ist eine Theologie der Entäußerung an das Kreuz, in der Jesus Christus als der Gott-Mensch erscheint, in dem der asiatische Begriff der Einheit zwischen Himmel-Erde-Mensch sich erfüllt. Die Minjung-Theologen sind überzeugt, dass Jesus Christus heute unter den Armen und Ausgebeuteten innerhalb der koreanischen Gesellschaft wieder Gestalt angenommen hat.

Die politischen und wirtschaftlichen Veränderungen in Südkorea haben generell die Menschenrechtssituation im Lande verbessert. Innerhalb der christlichen Kirchen hat es ebenfalls erhebliche Veränderungen gegeben, indem die Angehörigen der bürgerlichen Mittelschichten immer mehr die zahlenmäßig und ideell vorherrschende Gruppierung geworden sind. Die damit gegebene „Verbürgerlichung“ der koreanischen Christenheit hatte zur Folge, dass die von den Minjung-Theologen bevorzugte Zielgruppe der Armen und Entrechteten nicht nur in der koreanischen Gesellschaft, sondern auch in den christlichen Kirchen zu Randgruppen geworden sind. Daher lässt sich mit Recht fragen: Bestehen nicht neue Formen tiefgreifender Ausbeutung, ausgelöst durch die menschenverachtenden Strukturen des globalen Marktes, die in der theologischen Reflexion überdacht werden müssten?

Es mag überraschen, dass in Japan, einem Land, das eher als wirtschaftliche Großmacht in Erscheinung getreten ist, sich eine Christologie mit befreiungstheologischen Ansätzen entwickelt hat. Es handelt sich um die „Theologie der Dornenkrone“, die von Kuribayashi Teruo entwickelt worden ist. Seit vielen Jahren gibt es in Japan die Bewegung der sogenannten „Burakumin“, also der Minderheit von ethnischen Japanern, die wegen ihrer beruflichen Tätigkeit als Metzger, Gerber, Scharfrichter oder andere Berufe, die in der japanischen Gesellschaft als „unrein“ angesehen werden, diskriminiert und aus der normalen Gesellschaft ausgeschlossen sind. Sie haben sich zusammengeschlossen und kämpfen seit einiger Zeit für ihre Rechte. Unter den Opfern dieser Diskriminierung sind auch zahlreiche Christen, die begonnen haben, ihr Schicksal im Lichte der Bibel zu reflektieren.

Ähnlich wie in der Minjung-Theologie sehen sie in der Gestalt Jesu Christi, der ausgestoßen und mit einer Dornenkrone verhöhnt wurde, ein Symbol und ein Zeichen der Hoffnung, dass er jemand ist, der ihnen in ihrer eigenen Diskriminierung Beistand, Hilfe und Befreiung bringen könnte. Für die Burakumin ist die Dornenkrone das Symbol für Jesu Option für die Armen und Unterdrückten geworden. Konsequenterweise haben sie die Dornenkrone zum Emblem ihrer Bewegung gemacht. Für sie ist die Dornenkrone nicht nur ein Objekt für die subjektive Frömmigkeit, wie es im Mittelalter der Fall war, sondern sie verstehen sie als Symbol ihres Kampfes um Befreiung und Gerechtigkeit in einer japanischen Gesellschaft, die sie unterdrückt.

Ein Netzwerk für die Pastoral

Ein wichtiger Impuls für eine Neuausrichtung der pastoralen Praxis in den asiatischen Ortskirchen kam aus Südafrika. Der pastoraltheologische Ansatz des Bibelteilens, der ursprünglich im afrikanischen Lumko-Institut in Johannesburg in Südafrika entwickelt worden war, wurde innerhalb der Kirchen der FABC übernommen und zum „Asiatischen Integralen Pastoralen Ansatz“ (AsIPA), umgewandelt. Neben den Bibelteilen bildet die Umsetzung der Option für Kleine Christliche Gemeinschaften einen Schwerpunkt des Programms, das 1991 begann, als Bischof Oswald Hirmer, der maßgeblich das Projekt des Bibelteilens im Lumko Institut mitgestaltet hatte, dieses Programm vorstellte und seine Umsetzung auf die asiatischen Kirchen einleitete. Dies geschah durch eine Serie von handlichen Schriften für Teams auf der Ebene der Pfarreien und kleinen christlichen Gemeinschaften, in denen die Grundgedanken dieser pastoralen Methode und die Technik des Bibelteilens vorgestellt wurden.

Spätere Untersuchungen der Arbeit mit der AsIPA-Methode in einer Reihe von Diözesen, die 2009 durchgeführt wurde, belegt, dass mit dieser Methode gute pastorale Ergebnisse erzielt worden sind. Das zeigte sich einmal im persönlichen Glaubensleben der an diesem Projekt beteiligten pastoralen Personen. Für die kleinen christlichen Gemeinschaften hat die Methode eine Belebung ihres missionarischen Geistes und ein neues Verständnis der Bedeutung der Bibel für ihr privates Leben und für ihre gesellschaftlichen Aufgaben gebracht.

Bei der Umsetzung des gemeinsamen pastoralen Ansatzes der asiatischen Ortskirchen haben die Institute, die sich auf dem Gebiet der Pastoral, Katechetik und der Liturgie engagieren, eine wichtige Rolle gespielt. Zu nennen sind hier das East Asian Pastoral Institute (EAPI) in Manila, das für Südostasien aber darüber hinaus auch für Südasien und die Kirchen im Pazifik seit Jahren eine wichtige Rolle auf dem Gebiet der Theologie, der Katechetik und der Liturgie gespielt hat.

In Indien hat das Nationale Biblische Katechetische und Liturgische Zentrum (NBCLC) in Bangalore eine entscheidende Rolle gespielt, die Einsichten des Zweiten Vatikanischen Konzils in die indische Kirche hinein umzusetzen und mit Leben zu erfüllen. Im November 2013 wurde ein neuer Anlauf genommen, ein Netzwerk der Pastoralinstitute in den verschiedenen asiatischen Ortskirchen zu gründen, um die dort bestehenden pastoralen Einrichtungen miteinander in eine engere Zusammenarbeit zu bringen, gemeinsame theologische Fragestellungen zu bearbeiten und Programme zu entwickeln, die gewonnenen Einsichten in die pastorale Praxis der Ortskirchen umzusetzen.

Mit dieser Initiative wurde das 1983 gegründete Netzwerk asiatischer und pazifischer Pastoralinstitute wiederbelebt, das bis 1991 mehrere gemeinsame Konferenzen durchgeführt hatte, die vielfältige Anregungen für die Pastoral der beteiligten Länder erbrachten. An der Neugründung, die mit einer Konferenz in Manila am dortigen EAPI begann, waren Vertreter von Pastoralinstituten aus den Philippinen, Indien, Vietnam, Singapur und Indonesien beteiligt. Wie schon der erste Versuch, bei der das Missionswissenschaftliche Institut Missio Aachen den Anstoß gab, wurde auch die Neubelebung von Missio Aachen gefördert und auf den Weg gebracht. Für November 2013 ist in Bangalore ein Folgetreffen von „Netzwerk Pastoral“ geplant.

 „Asiatische Theologie“ hatte im Vatikan und besonders bei der Glaubenskongregation in der Zeit, als Joseph Ratzinger noch Präfekt war, aber auch nachdem er Papst geworden war, „schlechte Karten“. Bei den Einwänden gegen theologische Entwürfe einiger asiatischer Theologen und den darauf folgenden Auseinandersetzungen ging es nicht um einige nebensächliche Kleinigkeiten oder abwegige Detailfragen, sondern um sehr zentrale Fragen des christlichen Glaubens und vor allem der christlichen Theologie. Die theologischen neuen Entwicklungen, die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil in den asiatischen Kirchen begonnen worden waren, wurden in Rom von Anfang an kritisch gesehen. Die Erklärung der Glaubenskongregation „Dominus Iesus“ vom 6. August 2000 ist zwar schon einige Jahre alt, aber weiterhin von bleibender Bedeutung für die Theologie und besonders für die asiatische Theologie.

Die zentrale Aussage dieses Dokuments, dass es nur in Antwort auf göttliche Offenbarung, die nur im Christentum und Judentum realisiert ist, einen theologisch verantworteten Glauben geben kann, während sich in den anderen Religionen nur ein menschliches Sich-Ausstrecken nach dem Jenseitigen findet, macht im Grunde jeden interreligiösen Dialog unmöglich, da es sich in letzter Konsequenz bei diesen sich als Religionen ausgebenden Traditionen eher um kulturelle als religiös zu nennende Organisationen handelt.

Auch wenn es seitens des Vatikans, und auch persönlich von Benedikt XVI., danach zu einer Reihe von Begegnungen und Dialoginitiativen gekommen ist, hat sich an der grundsätzlichen Position von Papst und Glaubenskongregation nichts geändert. Denn die im Dokument „Dominus Iesus“ vertretenen Positionen werden seitens der Glaubenskongregation auch weiterhin für verbindlich angesehen und ihre Beachtung eingefordert. Dies zeigt sich etwa bei Lehrstuhlbesetzungen, bei denen potenzielle Kandidaten, um das „Nihil obstat“ zu erhalten, dazu verdonnert werden, in von ihnen verlangten Veröffentlichungen, die Position von „Dominus Iesus“ zu verteidigen.

Der Fall Tissa Balasuriya

Als Tissa Balasuriya am 17. Januar 2013 im Alter von 89 Jahren starb, wurde in den Nachrufen neben der Würdigung seines Lebenswerkes auch immer wieder an die Exkommunikation erinnert, die über ihn Anfang 1997 verhängt worden war. Dabei wurde daran erinnert, dass diese Bestrafung, die sicher in erster Linie Tissa Balasuriya persönlich getroffen und verletzt hat, auch als eine generelle Warnung an asiatische Theologen verstanden werden sollte, die Grenzen der Orthodoxie bei ihren theologischen neuen Ansätzen nicht zu überschreiten. Dass es zu diesem Fall überhaupt kam, war allerdings eher zufällig. In Sri Lanka hatte die Bischofskonferenz erstmalig einen Bischof als Verantwortlichen für Glaubensfragen bestimmt, und zwar den damals noch jungen Bischof Malcolm Ranjith, der es inzwischen zum Erzbischof von Colombo und Kardinal gebracht hatte. Neu im Amt, wollte Bischof Ranjith sich „betätigen“ und stieß auf das Buch, genauer auf die 1990 erschienene Doppelnummer der von Tissa Balasuriya herausgegebenen Zeitschrift „Logos“, in der er unter dem Titel „Maria und menschliche Befreiung“ Entwicklungen in der Marienverehrung unter dem Gesichtspunkt der Befreiung aus asiatischer Sicht behandelt hatte.

Bei ihrem Erscheinen hatte der Beitrag keine über den Abonnentenstamm der Zeitschrift hinausgehende Beachtung gefunden. Erst das drei Jahre nach Erscheinen des Beitrags erfolgte Einschreiten von Bischof Ranjith, der in dem Beitrag von der katholischen Lehre abweichende Aussagen zur Erbsündenlehre entdeckte, führte zu dem Lehrzuchtverfahren, das schließlich, da die Bischofskonferenz in Sri Lanka den Fall nicht abschließen konnte, nach vier Jahren zur Exkommunikation durch die Glaubenskongregation.

Bemerkenswert an der Behandlung des „Falles Tissa Balasuriya“ waren weniger die theologischen Einwände, die durchaus begründet gegen einige Aussagen des Werkes gemacht wurden, sondern die Art und Weise, wie dieser Fall behandelt wurde. Schließlich war Balasuriya in erster Linie auf dem Feld der Soziallehre und der Kapitalismuskritik tätig gewesen und hatte mit dem von ihm in Colombo gegründeten Institut „Gesellschaft und Religion“ eine weit über Sri Lanka hinausgehend beachtete Einrichtung geschaffen. Als anerkannter Fachmann auf diesem Gebiet hatte er über die Jahre die Grundideen für eine Reihe von Hirtenbriefen der Bischofskonferenz Sri Lankas geliefert und sich für die Verständigung zwischen Singhalesen und Tamilen eingesetzt. Das harte Vorgehen seitens der römischen Instanzen gegen Tissa Balasuriya war über den Einzelfall hinaus von grundlegender Bedeutung, weil es grundlegende Einwände seitens der römischen Instanzen gegen Entwicklungen in der asiatischen Theologie zum Ausdruck brachte.

In den asiatischen Traditionen und Religionen ist das Wissen um die Begrenztheit der menschlichen Vernunft in der Erkenntnis der letzten Geheimnisse des Kosmos und des Menschen sehr präsent. Bei aller Einsicht, die Menschen durch die Reflexion, in Asien aber weitaus mehr durch die Meditation, geschenkt werden kann, bleibt doch der letzte Durchblick in das Geheimnis der Wirklichkeit der menschlichen Erkenntnis verwehrt, soweit diese Erkenntnis als begrifflich erfassbar und kommunizierbar verstanden wird. Das letzte Erkennen, gewöhnlich „Erleuchtung“ – im Buddhismus „Erwachen“ (bodhi) oder „Durchblick“ (satori), im Hinduismus „Ruhe des Geistes“ (samadhi) und im Daoismus „Einswerdung“ – genannt, wird als alle begriffliche Formulierung überschreitende geistige Erfahrung verstanden, die daher nicht kommunizierbar ist. In der asiatischen christlichen Theologie spielt die Kategorie der Erfahrung (anubhava) eine große Rolle.

Das Herausstellen der Kategorie der Erfahrung ist nicht in erster Linie als Antithese zum erkenntnismäßigen Aspekt der göttlichen Offenbarung gemeint. Es ist vielmehr gewachsen auf der Grundlage einer tief verwurzelten Tradition von Meditation und der Achtung vor dem Geheimnis der letzten Wirklichkeit. Die Erfahrung der „Erleuchtung“ führt eher tiefer ins Schweigen als dass sie nach Mitteilung drängt. Tiefste geistige Erfahrung verwehrt sich der eilfertigen Mitteilung und verlangt nach Diskretion. Aus dieser Grundhaltung heraus erklärt sich die Vorliebe, die asiatische christliche Theologen hegen für Formen einer negativen Theologie, die sich als eine Reaktion auf und Korrektur einer dogmatisch zu selbstsicheren, in ­Begrifflichkeit verliebten westlichen Theologie versteht. Asiatische Theologen haben eine starke Achtung vor dem Geheimnis der letzten Wirklichkeit und ein ausgeprägtes Bewusstsein von der Begrenztheit menschlicher Sprache und Begrifflichkeit.

Asiatische Theologen gehen bei der Interaktion des Evangeliums mit den kulturell anders geprägten Gegebenheiten in Asien davon aus, dass es kein Evangelium gibt und geben kann, das nicht schon kulturell geprägt ist. Die Botschaft des Jesus von Nazareth war geprägt von der Tatsache, dass er in Palästina lebte, Jude war und in der jüdischen Verheißungsgeschichte stand und sich der aramäischen Sprache und deren Sprachbilder bediente. Die christliche Missionsgeschichte ist voll von Beispielen der Interaktion einer kulturell geprägten christlichen Botschaft mit den kulturell-religiösen Vorgaben der jeweiligen Länder, in die sie gebracht wurde. Bei der Begegnung der christlichen Botschaft mit einer nichtchristlichen anderen Tradition handelt es sich daher immer um eine „inter-kulturelle Begegnung“, bei der eine kulturell schon geprägte christliche Botschaft auf ein ebenfalls kulturell bestimmtes Gegenüber trifft, mit dem es zu einer Interaktion kommt, in der sowohl der Adressat der christlichen Botschaft sich verändern wird, es aber auch rückwirkend zu einer Veränderung der christlichen Botschaft kommt.

Toleranz ist selbstverständlich

Asiatische christliche Theologen sind sich der Problematik von Unterschieden in Sprache, Kultur und Hermeneutik viel stärker bewusst, als dies in der westlichen Theologie der Fall ist. Aus dem eigenen, oft schmerzhaften Erleben einer theologischen Ausbildung, in der ihnen die dogmatischen Formulierungen der Konzile und der westlichen Theologie vermittelt wurden, sind sie sich nur zu gut bewusst, dass es Grenzen der „Übersetzbarkeit“ bestimmter Terminologien und Begriffe gibt, die nicht daher rühren, dass die Übersetzer unfähig waren, sondern die daraus resultieren, dass die Struktur bestimmter asiatischer Sprachen sich gegen eine adäquate Übersetzung vieler aus der griechisch-römischen philosophischen Tradition stammenden Begriffe sträubt.

Die von den Übersetzern dann gefundenen neuen Begriffe bleiben daher oft blutleere Worthülsen, die innerhalb des theologischen Betriebs zwar Verwendung finden, aber ansonsten unverständlich bleiben. Die westliche Form des „Dogmas“ bleibt dem asiatischen Denken fremd und verhindert die Entwicklung neuer theologischer Einsichten im Verständnis des Geheimnisses der Menschwerdung und des Heilswirkens Jesu Christi. Der Ansatz der asiatischen Theologen ist anders, indem er die christliche Botschaft mit den religiösen Traditionen und den sozio-ökonomischen Gegebenheiten Asiens konfrontiert.

Dabei legen sie das Schwergewicht mehr auf Jesus als den Lehrer, der seine Schüler und die allgemeine Zuhörerschaft unterweist, der sich dabei einer erzählenden Sprache bedient, die mit Gleichnissen arbeitet und die begriffliche Zuspitzung, wie sie die theologische Reflexion der westlichen Theologie, die sich philosophischer Begrifflichkeit bedient, vermeidet. Wenn Jesus von Nazareth mit seiner Botschaft auf eine fremde Kultur trifft, kommt es zu einer Interaktion, die sowohl von spontaner Annahme der Person und Botschaft Jesu wie auch von Verfremdung, Verwirrung und Ablehnung gekennzeichnet ist.

Auf der Suche nach einer eigenständigen asiatischen theologischen Methode haben asiatische Theologen Formen der Interpretation von Heiligen Schriften im Buddhismus, Hinduismus, Konfuzianismus, Taoismus und Islam daraufhin untersucht, inwieweit sich hier Elemente finden lassen, die in der biblischen Hermeneutik und Exegese fruchtbar gemacht werden könnten. Der Gebrauch und die Funktion von Symbolen, Geschichten und Mythen in den asiatischen religiösen Traditionen bieten viele Anregungen und konkrete Formen, die Fixierung auf philosophisch-dogmatische Formulierungen in der westlichen Theologie zu überwinden.

In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil haben asiatische Theologen die Thesen der klassischen Mission verworfen, dass bei der Bekehrung zum Christentum von den Neuchristen ein radikaler Bruch mit den kulturellen und religiösen Traditionen ihrer Ahnen zur Vorbedingung für die Annahme des Christentums gemacht werden müsste. Der unheilvolle Ritenstreit (1634 –1742) in China, Japan, Korea und Vietnam und in Indien steht für diese Haltung und für die katas­trophalen negativen Folgen, die sich daraus für das Schicksal der Mission des Christentums in Asien ergeben haben. Die asiatischen Theologen setzen dagegen auf Kontinuität, indem sie das kulturelle und religiöse Erbe ihrer Ahnen als bleibende Werte ansehen, die in der Begegnung mit der christlichen Botschaft in mancher Hinsicht zwar gereinigt werden müssen, aber grundsätzlich beibehalten werden können. All das Wahre, Gute, Schöne und Edle, woran ihre Ahnen geglaubt haben, das, was sie sich erhofft haben und was sie in ihren Beten und Akten der Gottesverehrung angebetet haben, darf und muss in eine neue Form des Christseins in Asien eingehen können.

Asiatische christliche Theologen sehen sich bei der Entwicklung ihres eigenen asiatischen Ansatzes in einer in der Kirchen- und Theologiegeschichte noch nie da gewesenen neuen Situation, wenn sie sich mit den für sie brennenden Fragen der Bedeutung Jesu Christi in religiös pluralistischen asiatischen Gesellschaften auseinandersetzen, wenn sie nach der theologischen Bedeutung der anderen Religionen und ihrer Stifter fragen, um nur die zentralen Fragen einer asiatischen Theologie zu benennen. Aus diesem Grund sind sie nicht bereit, sich mit dem Verweis abspeisen zu lassen, die Lösung dieser Problematik allein im Rückgriff auf die klassische theologische Methode der westlichen Theologie zu suchen.

Ihr Ansatz, den anderen Religionen und Kulturen zu begegnen, unterscheidet sich daher grundlegend von dem der westlichen Theologie, die „von außen“ an die Religionen heranging, um ihre theologische und heilsgeschichtliche Funktion zu eruieren beziehungsweise in der Regel zu verneinen. Asiatische Theologen kommen „von innen“, indem sie die religiösen und kulturellen Traditionen als ihr eigenes Erbe für sich reklamieren und fruchtbar zu machen suchen.

Für Theologen in den asiatischen Ortskirchen, die in einer kulturell und religiös pluralistischen Welt leben, sind Toleranz und das Aushalten von Gegensätzen, verbunden mit einer Haltung des „Sowohl – als auch“ selbstverständliche Haltungen. Denn in Asien sind Menschen gewohnt in multi-kulturellen Räumen zu leben und denken. Monokulturell konditionierte europäische Theologen und Kirchenführer tun sich dagegen eher schwer mit der Annahme einer Vielfalt von Ideologien und Religionen und des damit verbundenen Pluralismus, der in der Regel als Gefährdung der Orthodoxie angesehen und damit abgelehnt wird. Asiatische Theologen, wie der indische Theologe Jacob Kavunkal, verteidigen dagegen die theologische Berechtigung eines religiösen Pluralismus. Für ihn ist religiöser Pluralismus das Ergebnis der göttlichen Selbstmitteilung im Wort und in den vielfältigen Weisen, in denen Menschen auf das Göttliche antworten. Weil die Menschen von Natur aus gesellschaftliche Wesen sind und in der Geschichte stehen, können wir sagen, dass die verschiedenen Religionen verschiedene gesellschaftliche und historische Antworten auf die göttliche Manifestation im Wort sind.

Generell bedeutet der Anspruch asiatischer Theologen, ihre eigene theologische Methode, Sprache und Hermeneutik entwickeln zu wollen, eine Herausforderung an die westliche Theologie. Verschärft wird dies in der katholischen Kirche durch das zentrale Lehramt der römischen Kurie, manifestiert in der Glaubenskongregation. Das zentrale Problem in der Beziehung zwischen dem zentralen kirchlichen Lehramt und den asiatischen Theologen besteht in der Frage, ob die dogmatischen Formulierungen der Konzilien und spätere Stellungnahmen des Lehramts als wesentliche Elemente des christlichen Glaubens übernommen werden müssen, indem sie einfach nur in die jeweiligen asiatischen Sprachen übersetzt werden. Kann es asiatischen Theologen erlaubt sein, erneut auf die Geheimnisse der Trinität, der Christologie und der Pneumatologie zu reflektieren, indem sie vom religiösen und kulturellen Erbe ihrer asiatischen Heimatländer Gebrauch machen? Ein solcher Schritt muss nicht notwendig die Verneinung der Gültigkeit der westlichen Paradigmen und ihrer Bedeutung für die Wahrung der christlichen Orthodoxie bedeuten. Asiatische Theologen sind durchaus bereit, die historische Bedeutung dieser Formulierungen anzuerkennen. Kritisch fragen sie jedoch, inwieweit diese Formulierungen heute noch das Glaubensleben der einfachen Christen bestimmen. Mag dies für die Christen im Westen eingeschränkt noch gelten, so sind die in den ersten Konzilien behandelten Themen für asiatische Christen wenig oder gar nicht relevant. Asiatische Theologen möchten dagegen die Freiheit haben, auf diese Geheimnisse erneut reflektieren zu dürfen, indem sie neue Fragestellungen eröffnen. Dadurch hoffen sie den asiatischen Christen existenzielle Glaubenshilfen geben zu können, wie sie in den kleinen Minderheitenkirchen innerhalb der religiös-kulturellen Welt Asiens und in der Ausei­nandersetzung mit den Problemen der Armut glaubwürdig ihren christlichen Glauben leben können. Über die asiatischen Kirchen hinaus glauben sie damit auch der Weltkirche einen wertvollen Dienst leisten zu können.

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