KommentarOffene Fragen

Bundestag verabschiedet Regelungen für Patientenverfügungen.

Johan Sletten ist ein nicht unbedingt sympathischer Durchschnittstyp, kleinmütig und bisweilen kleinkariert, der ausgeprägte Minderwertigkeitskomplex gepaart mit einer gewissen Arroganz. Und der früh verrentete Journalist ist im buchstäblichen Sinne todkrank. Das Gespräch mit seinem Arzt scheitert am Thema Tod. So bittet er seine Frau, deren Liebe die „Gnade seines Lebens ist“, ihm ein würdevolles Sterben zu ermöglichen; Sletten ist gepeinigt von der Angst, Schmerz und Tod allein gegenüberzustehen.

Seine Frau Mai, eine Tierärztin, aber versteht unter würdevollem Sterben und Sterbegleitung alles andere als eine das Leid beendende Spritze; zuletzt entscheidet sie sich doch anders. Aber nun hat sich Sletten im Prozess seines Sterbens verändert. So gelingt es ihm, sich seine Fehler und Schwächen zu verzeihen, erstmals gewinnt er Größe und erlebt dies auch so. Als er seine Frau sagen hört, nun sei es soweit, sagt, oder besser, denkt er: „Nein, noch nicht! Warte bis es hell wird.“ Sie jedoch kann ihn schon lange nicht mehr hören ...

In den letzten Jahren ist eine bemerkenswerte Fülle von Büchern erschienen, die sich den Fragen von Sterben und Tod, Sterbehilfe und Sterbegleitung auch literarisch, in Erzählungen oder Romanen zu nähern versuchen. Der schmale Band der norwegischen Schriftstellerin Linn Ullmann, unter dem vielstimmigen Titel „Gnade“ in deutscher Übersetzung im Jahr 2004 erschienen, ist unter diesen etwas Besonderes: Sensibel, leise, ohne jedes falsche Pathos und nie moralisierend entfaltet er eine ungeheure Eindringlichkeit in der Beschreibung eines Sterbeprozesses, in dem sich der Blick auf Leben, Sterben und Tod radikal wandelt.

Die Angst vor einem schmerzvoll sich hinziehenden Sterben, ein weit verbreitetes Misstrauen gegenüber einer kalt ablaufenden medizinischen Lebenserhaltungs-Maschinerie, häufig erlebte Sprachlosigkeit zwischen Arzt und Patient und eben nicht zuletzt diese Frage, wie es dem Einzelnen möglich sein kann, selbstbestimmt und willentlich über sein Sterben zu entscheiden und wie diesem Willen Rechnung zu tragen ist – all das stand letztlich hinter einer über sechs Jahre dauernden Diskussion im Deutschen Bundestag: Konkret ging es um eine klare und verlässliche gesetzliche Regelung für so genannte Patientenverfügungen.

Unter anderem ist in diesen festgelegt, wann eine medizinische Behandlung eingestellt werden soll für den Fall, dass man selbst nicht mehr in der Lage ist, sich zu äußern. Acht bis zehn Millionen Deutsche haben eine solche Verfügung bereits unterschrieben. Deren Verbindlichkeit ist jedoch rechtlich umstritten, eine direkte gesetzliche Regelung fehlte bislang.

Mitte Juni hat sich eine Mehrheit des Bundestags für einen von drei Gesetzentwürfen entschieden, wobei es bis zuletzt möglich schien, dass auch dieser erneute Versuch scheitern könnte. Nicht zuletzt von Seiten der Ärzteschaft gab es reichlich Bedenken; man sorgt sich um eine gravierende Beeinträchtigung des Arzt-Patient-Verhältnisses.

Jetzt wird eine schriftlich abgefasste Patientenverfügung für den behandelnden Arzt auf jeden Fall bindend sein. Wenn ein Patient dort eine bestimmte Behandlung ausschließt, muss sich der Arzt oder die Ärztin daran halten, selbst wenn der Tod die Folge ist.

Die Kirchen in Deutschland haben diesen Diskussionsprozess engagiert begleitet. Schon 1999 hatten sie gemeinsam eine „Christliche Patientenverfügung“ vorgestellt. In ihrer Reaktion auf die Bundestagsentscheidung würdigten nun die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) vor allem die ernsthafte Auseinandersetzung und die gesellschaftlich wertvolle Debatte der Parlamentarier.

Aber beide, und so äußerte sich beispielsweise auch der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, ließen keinen Zweifel daran, dass sie sich eine andere Regelung gewünscht hätten, beziehungsweise entscheidende Fragen nach wie vor offen sehen. Vor allem: Kann eine vorab verfasste Patientenverfügung wirklich dem aktuellen Willen des Schwerkranken entsprechen und seiner individuellen Krankheits- und Sterbesituation gerecht werden? Leistet hier die gefundene Regelung nicht einem gewissen Automatismus Vorschub? Selbstbestimmung des Patienten und Fürsorge stünden jetzt noch nicht im rechten Verhältnis zueinander (vgl. HK, Februar 2007, 83ff.).

Die Kirchen stehen mit dieser Kritik nicht alleine. So wird die Diskussion um die Patientenverfügungen wohl auch nach dieser Entscheidung weitergehen. Aber ließe sich denn auch ernsthaft erwarten, in solchen Fragen je an ein Ende zu kommen?

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