Überlegungen zur Reform der römischen KurieMentalitätswechsel notwendig

Für die katholische Kirche besteht die Notwendigkeit, ihre Leitungsorganisation umfassend zu erneuern, um vorhandene Defizite zu beseitigen. Drei Punkte sind dabei entscheidend: das Verhältnis der Ortskirchen zur römischen Zentrale, die organisatorische Leistungsfähigkeit der Kurie und das Thema Glaubwürdigkeit und Legitimation.

Die jetzige Gestalt der römischen Kurie ist historisch gewachsen. Die Grundkonzeption mit mehreren Kongregationen, die den Papst bei der Führung der Kirche beraten sollen, wurde durch Papst Sixtus V. Ende des 16. Jahrhunderts geschaffen. Lange Zeit galt diese Organisation der katholischen Kirche als Beispiel musterhafter Führung und Verwaltung und war Vorbild für die Kabinettsstrukturen von Königen und Fürsten im 17. und 18. Jahrhundert. Die Kurie wurde mehrfach reformiert, zuletzt unter Paul VI. und Johannes Paul II., wobei es sich hier eher um eine Optimierung der bestehenden Strukturen und weniger um eine grundlegende Neukonzeption und Neuorganisation handelte. Mit ihrem heutigen Umfang leisten die Kurie und die ihr angehörenden Behörden durch das Engagement und den Sachverstand vieler Mitarbeiter einen beachtenswerten Dienst bei der Führung der Weltkirche.

Für die katholische Kirche besteht jedoch die Notwendigkeit, ihre Leitungsorganisation umfassend zu erneuern, um Schwachstellen zu beseitigen, die Leistungsfähigkeit zu steigern und sie für die wachsenden und sich verändernden Anforderungen des 21. Jahrhunderts zukunftsfähig zu machen. Für einen Außenstehenden sind dabei drei Punkte entscheidend: das Verhältnis der Ortskirchen zur römischen Zentrale, die organisatorische Leistungsfähigkeit der Kurie und das Thema Glaubwürdigkeit und Legitimation.

Ein immer größerer Entscheidungsstau

Das Zweite Vatikanum hat den Orts- und Teilkirchen in den verschiedenen Erdteilen ein größeres Gewicht bei der Mitwirkung an zentralen kirchlichen Entscheidungen beigemessen und eine größere kollegiale Beteiligung der Vertreter der Weltkirche bei zentralen Entscheidungsprozessen angeregt. Hinzu kommt heute, dass durch das Bevölkerungswachstum in den Schwellenländern neue kulturelle und gesellschaftliche Herausforderungen entstanden sind, für die die Kirche Antworten bereithalten muss. Darüber hinaus hat sich ein stärkeres Selbstbewusstsein dieser Ortskirchen entwickelt, die eine stärkere laufende Mitsprache ihrer gestiegenen Bedeutung entsprechend einfordern, und dies nicht nur durch eine größere Repräsentanz in den entsprechenden Gremien, sondern auch im laufenden Tagesgeschäft.

Römische Entscheidungen der letzten Jahre vermittelten jedoch eher den Eindruck, möglichst viel zentral regeln zu wollen. Einheit scheint zu oft mit Einheitlichkeit verwechselt zu werden. Zunehmend kann der wachsende Regelungsbedarf aus diesem Anspruch heraus jedoch von der römischen Verwaltung nicht mehr schnell und effektiv abgearbeitet werden und führt zu einer wachsenden, systemimmanenten Überforderung aller Beteiligten. Ein immer größerer Entscheidungsstau zeichnet sich ab. Das von der Kirche bei anderen Organisationen und Institutionen zu Recht eingeforderte Mehr an Subsidiarität wird im eigenen Verantwortungsbereich nur unvollkommen praktiziert. Hinzu kommt, dass von den römischen Behörden mit Blick auf die Gestaltung der Zukunft zu wenige Impulse in die Weltkirche gehen.

Innerhalb der unübersichtlichen Vielzahl von Einheiten entsteht zusätzlich der Eindruck, dass Entscheidungen mangelhaft bis gar nicht koordiniert sind, weder effektiv noch effizient durchgeführt werden, dass einzelne Organisationseinheiten eher stark gegeneinander arbeiten, dass zu wenig zielführend miteinander kommuniziert wird, dass die Einzelkompetenz und nicht die Kollegial-Gesamtverantwortung gesucht wird. Die vom Zweiten Vatikanum geforderte Kollegialität betrifft nicht nur das Zusammenspiel zwischen den einzelnen Orts-/ Teilkirchen und der Kurie, sondern auch die Kollegialität innerhalb der Kurie. Sie bleibt jedoch deutlich hinter diesem Anspruch zurück.

Die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen den neun Kongregationen, vergleichbar mit Vorstandsbereichen oder Ministerien, den elf päpstlichen Räten, der Vielzahl der päpstlichen Kommissionen und den sonstigen Verwaltungseinrichtungen des Vatikans sind teils unklar, teilweise überschneiden sie sich. Nicht immer ist zu erkennen, wem sie zugeordnet sind, wer ihre Aufgabenstellung formuliert und wer sie kontrolliert. Es ist nicht ersichtlich, wie sie sich in ein funktionierendes geschlossenes Gesamtsystem integrieren. Viele Entscheidungsprozesse sind gekennzeichnet durch einen eklatanten Mangel an organisatorischer Professionalität.

Zusätzlich erschweren es die starren Strukturen, schnell auf sich verändernde Herausforderungen zu reagieren und bestimmte Einrichtungen bei abnehmender Bedeutung auch zu reduzieren oder aufzulösen. Fraglich ist, ob die personelle Ausstattung der einzelnen Einheiten angemessen ist und nicht große Teile überbesetzt, andere dagegen entsprechend ihrer eigentlichen Bedeutung zu gering ausgestattet sind. Zu hinterfragen ist jeweils auch die fachliche Kompetenz. Häufig hat man den Eindruck, dass regionale Herkunft, Anciennität oder Protektion durch andere Kurienmitarbeiter den Vorrang haben vor der Eignung, die gestellte Aufgabe optimal auszuführen. Eine effiziente Organisation ist heute ohne eine professionelle Nutzung moderner Kommunikationsmittel nicht denkbar. Ob diese voll ausgeschöpft wird, muss bezweifelt werden.

Herausragende Beispiele für das stichpunktartig beschriebene organisatorische Versagen ist die Causa des Bischofs der Pius-Bruderschaft, Richard Williamson, sowie die Tatsache, dass man in dreißig Jahren die Vorgänge um das „Istituto per le Opere di Religione“ (IOR), die Vatikanbank, nicht nachhaltig in den Griff bekommen hat.

Aufgrund ihrer besonderen Stellung spielt die römische Kurie, deren Bedeutung in der Darstellung der öffentlichen Medien größer erscheint als sie tatsächlich ist, für die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche eine überragende Rolle. Der überwiegende Teil ihrer Mitarbeiter verhält sich vorbildlich. Das öffentliche Bild wird aber – so ungerecht dies scheinen mag – bestimmt durch das Verhalten einiger weniger. Die „Vatileaks“-Affäre hat hier einige eklatante Schwächen aufgezeigt. Korruption, Machtkämpfe, Intrigen, Erpressungen, homosexuelle „Seilschaften“, auch wenn es nur Einzelfälle sein mögen, bestimmen das öffentliche Bild und untergraben den Anspruch einer glaubwürdigen, authentischen Institution in der Nachfolge Jesu. Hinzu kommt der opulente, öffentlich zur Schau getragene Lebensstil einiger hoher Würdenträger (oft fremdfinanziert, was bekanntermaßen Abhängigkeiten schafft), die im krassen Widerspruch zur vielfach beschworenen „apostolischen Einfachheit“ stehen. Zusätzlich wird die Kurie in ihrem Innenleben sehr stark durch eine nicht mehr zeitgemäße „höfische“ Kultur geprägt.

Aus der kulturellen Vielfalt schöpfen

Der Anspruch an das Ergebnis aller Reformbemühungen der Kurie sollte eine Leitungsorganisation sein, die das Modell des Zweiten Vatikanums realisiert, als Vorbild moderner Leitungsorgane für global operierende Organisationen dient und sich als zukunftsfähig für das 21. Jahrhundert erweist. Unbestreitbar vorhandene Stärken, wie zum Beispiel das Papstamt, sollten nicht relativiert, sondern noch mehr zur Geltung gebracht werden. Eine über Jahrhunderte entwickelte Inszenierung nach außen ist nicht nur für die mediale Vermittlung hervorragend geeignet, sondern ist aufgrund ihrer großen Ausstrahlung ein beeindruckendes Alleinstellungsmerkmal für die katholische Kirche, das auch auf viele Gläubige eine hohe Anziehungskraft hat.

Diese steht nur vordergründig im Widerspruch zu einer armen, bescheidenen Kirche und darf auf keinen Fall geopfert werden zugunsten einer kalten, nüchternen, nur auf Effizienz getrimmten Organisation, die auf emotionale Effekte völlig verzichtet. Hier ist zwischen dem Verhalten im Innern und dem Außenauftritt zu differenzieren.

Durch Auftreten und Verhalten ihrer Mitglieder sollte die Kurie Vorbild für andere Teile der Weltkirche sein und auf diese Weise die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche spürbar stärken. Die Globalisierung bietet gerade der katholischen Kirche aufgrund ihrer weltweiten Präsenz besser als anderen die Chance, eine funktionierende, pluralistische, globale Gesellschaft Realität werden zu lassen, wenn sie „Einheit“ und „Vielfalt“ vorbildlich vorlebt – und dafür die organisatorischen Voraussetzungen schafft. Diese globale Präsenz bietet das Potenzial, aus der kulturellen Vielfalt zu schöpfen, etwa Impulse für die Gestaltung der Liturgie aus anderen Teilen der Welt aufzunehmen, den Glaubensvollzug in anderen Ländern mitzuerleben und sich gegenseitig zu befruchten.

Um dieses Ziel zu erreichen, genügt nicht die Optimierung und Fortschreibung des bisherigen Konzepts, sondern ist eine grundlegende neue Struktur notwendig, in die die Elemente, die sich bewährt haben, zu integrieren sind. Nur so können die vorhandenen Widerstände bei einer Neuausrichtung in einer Art Befreiungsschlag überwunden und die Defizite wirklich überwunden werden.

In den folgenden Handlungsansätzen sind bewusst theologische Überlegungen, die die Rahmenbedingungen setzen, ausgeklammert. Neben theologischen und ekklesiologischen Kriterien, die letztlich im Vordergrund zu stehen haben, aber auch nicht vordergründig als „Totschlag“-Argument missbraucht werden dürfen, könnte ein zusätzlicher Ansatzpunkt der Überlegungen sein: Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Bereich erfolgreich operierender globaler Wirtschaftsunternehmen und Organisationen sinngemäß auf die Kirche anzuwenden. Natürlich ist Kirche kein Unternehmen und die Weltkirche kein Weltkonzern. Sie ist einzigartig. Trotzdem sind Analogien zu erfolgreich operierenden, globalen Unternehmen, die mit einer schlanken Unternehmensspitze eine Vielzahl von Märkten in den unterschiedlichsten Regionen mit den unterschiedlichsten Anforderungen und Situationen erfolgreich managen, vorhanden. Sie zeigen durchaus vergleichbar, wie „Einheit in der Vielfalt“ erfolgreich erreicht werden kann.

Zusätzlich könnten Strukturen und Prozesse von Regierungen föderaler Flächenstaaten oder supra-nationaler Organisationen als Anregung herangezogen werden. Mit allem Nachdruck muss jedoch auch darauf hingewiesen werden, dass auch die Schaffung einer erfolgreichen, global operierenden Nichtregierungsorganisation die Zielsetzung der Kirche letztlich verfehlt. Vorrangig muss sein, die Strukturen und Prozesse der Leitung der katholischen Kirche für das 21. Jahrhundert zukunftsfähig zu machen und Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Nicht die Orientierung an Strukturen, sondern an Werten zeichnet dabei zwangsläufig das Führungsmodell der Kirche aus.

Ausbalancierung unterschiedlicher Perspektiven

In den Management-Wissenschaften gilt der Satz: Die Struktur folgt der Strategie. Auf die katholische Kirche übertragen hieße dies, zuerst das gewünschte Kirchenbild bestimmten zu müssen. Will man eine Kirche mit einer starken, alles bestimmenden Zentrale oder hat man eine Vielzahl von unabhängigen Ortskirchen vor Augen, die durch eine Spitze nur ein wenig koordiniert werden – also eine Art „Weltrat der katholischen Kirche“? Beides sind nicht anzustrebende Extremoptionen. Die oberste Lehrautorität und Jurisdiktion des Papstes sollten nicht in Frage gestellt werden, weil sie elementare Definitionsmerkmale der katholischen Kirche sind. Anzustreben wäre vielmehr eine Ausbalancierung unterschiedlicher Perspektiven, wobei entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip – so viel wie möglich – Kompetenzen den Ortskirchen zuzugestehen sind. Ein Satz von Johannes XXIII. könnte hier die Leitschnur sein: „Nur im Notwendigen die Einheit, im Zweifel die Freiheit, in allem die Liebe“.

Auch große erfolgreiche Unternehmen zeichnen sich dadurch aus, dass sie so wenig wie möglich zentral entscheiden, sondern zentral Strategie, Unternehmensziele und -werte vorgeben, deren Einhaltung überwachen und vor allem die personellen und finanziellen Ressourcen dafür bereitstellen. Wie die Ziele zu erreichen sind, liegt in der Regel in den Händen der dezentralen Einheiten, da sie am besten auf ihre jeweilige Situation reagieren können und wissen, was zu tun ist. Sie können damit auch sehr viel stärker in die Verantwortung genommen werden.

Vergleichbar einem Flächenstaat wäre eine föderale Struktur anzustreben mit einer schlanken, effektiv arbeitenden Einheit an der Spitze, die Grundsatzentscheidungen fällt, die die wesentlichen Richtlinien vorgibt und überwacht, die die wichtigsten Führungskräfte auswählt und ernennt, die finanziellen Ressourcen soweit möglich zuteilt, die Hilfestellung und Unterstützung für die Aufgaben gibt, die sich sinnvoller durch eine Zentralstelle erarbeiten lassen, die Impulse setzt, Ressourcen freigibt, um innovative Formen der Weiterentwicklung zu gewährleisten.

Die Kurie sollte außer bei Grundsatzfragen sich bei vielem eher als Unterstützer und Berater für die Ortskirchen denn als oberste Kontrollbehörde, die sich auch um Details kümmert, verstehen und dies auch leben. Dies hat zur Folge, dass systematisch für alle wesentlichen Entscheidungsfelder festgelegt werden muss, welche Aufgaben wo zu entscheiden sind, wer wann und wo in welcher Form einzubinden ist. Zielsetzung sollte hier eine dem Subsidiaritätsprinzip entsprechende, konsequente und deutliche Dezentralisierung, das heißt die Verlagerung von Aufgaben an die Orts- und Teilkirchen, sein – bei Wahrung der Einheit.

Entscheidendes Augenmerk ist auf die Personalauswahl und Personalführung zu legen

Die Ortskirchen sind gegenwärtig durch die in der Regel alle drei Jahre tagenden Bischofssynoden vertreten. Dies bedeutet jedoch einen erheblichen organisatorischen, logistischen und zeitlichen Aufwand, was zu einer gewissen Schwerfälligkeit führt. Sinnvoller wäre zusätzlich ein kleineres Gremium, etwa mit 12 bis 18 Mitgliedern, das in Abstimmung mit dem Papst durch die Ortskirchen gebildet wird und zum Beispiel alle drei bis sechs Monate tagt. Dies führt zu einer schnelleren und effektiveren Arbeitsweise.

Um den verschiedenen, teils sehr unterschiedlichen Belangen der Teilkirchen mehr Gewicht zu verschaffen, sollten die heute existierenden regionalen Sektionen strukturell aufgewertet und auf die gleiche Stufe wie die Kongregationen gestellt werden. Die Kurie würde damit wie bisher funktionale, themenspezifische Elemente haben, aber eben auch regionale (so genannte Matrixorganisation). Als Alternative könnte an ein Zweikammersystem gedacht werden, wobei jedoch die Gefahr besteht, dass sich mögliche Gegensätze zwischen den Belangen der Ortskirchen und der römischen Zentrale noch mehr verfestigen und zu dauerhaften Konflikten führen.

Zusätzlich sollten Aufgabe und Rolle der Nuntiaturen vor allem in ihrem Verhältnis zu den Ortskirchen überdacht werden. Gleichzeitig ist zu fragen, inwieweit die katholische Kirche bei „nicht-nationalen Institutionen“ ausreichend präsent ist. Ergänzend ist zu überlegen, wie der Heilige Stuhl als Völkerrechtssubjekt einzubinden ist – eine herausfordernde, aber lösbare Aufgabenstellung.

Um eine beherrschbare, klare und transparente Entscheidungsstruktur zu erreichen, sollten die neun Kongregationen, die päpstlichen Räte, Kommissionen und weiteren Behörden neu geordnet und in etwa zehn bis fünfzehn auf gleicher Ebene stehenden gleich großen Ressorts zusammengefasst werden. Der Aufgabenumfang des Staatssekretariats ist kritisch zu hinterfragen. Hinzu kämen die oben erwähnten regional orientierten Struktureinheiten. Alle Funktionen, die Finanz-, Verwaltungs- und Servicecharakter inklusive der Aufsicht über das IOR haben, sollten in einem eigenen Ressort zusammengefasst werden, das durch einen ausgewiesenen Verwaltungsfachmann quasi als „Chief Operating Officer (COO)“ geleitet wird, der durchaus ein Laie sein kann. So werden unkoordiniertes Eigenleben reduziert, einheitliche und eindeutige Verantwortungsbereiche geschaffen und eine transparente und organisatorisch beherrschbare Gesamtstruktur erreicht.

Um eine gemeinsame Entscheidungsfindung zu fördern, sollten die Leiter dieser Ressorts/Sachbereiche – vergleichbar mit den heutigen Kardinalpräfekten – unter Leitung des Kardinal-Staatssekretärs zu regelmäßigen (mindestens einmal im Monat) gemeinsamen Sitzungen zusammenkommen und entsprechend einer vorgegebenen Tagesordnung Entscheidungen fällen beziehungsweise von allen getragene Empfehlungen an den Papst erarbeiten und verabschieden. Über die Sitzungen ist ein Protokoll anzufertigen, das dem Heiligen Vater unverzüglich zuzusenden ist. Der Papst hätte jederzeit ein Teilnahmerecht. Inwieweit er selbst die Sitzungen leitet, muss abgewogen werden. Den offensichtlichen Vorteilen, beispielsweise den schnellen Überblick über Meinungen und anstehende Entscheidungen, stehen erhebliche Risiken und Nachteile gegenüber. Entscheidend ist, dass ein Paradigmenwechsel von einer Einzelressort-Verantwortung zu einer Kollegialverantwortung erreicht werden muss. Fast noch wichtiger ist es, sich nicht nur zuständig zu fühlen oder dies vehement einzufordern, sondern persönlich Verantwortung tragen zu wollen.

Aus der Aufgabenverteilung zwischen dem, was zentral und dezentral entschieden werden soll, ergibt sich der Aufgabenumfang für die einzelnen Kongregationen und die anderen Organisationseinheiten. Bei einer stärkeren Dezentralisierung wird sich auch der Aufgabenumfang der römischen Verwaltung deutlich reduzieren, der erforderliche Personalumfang in den einzelnen Abteilungen müsste entsprechend angepasst werden.

Um die Effizienz und Effektivität der Kurie zu verbessern, bedarf es nicht nur der Veränderung von Strukturen, ein entscheidendes Augenmerk ist auf die Personalauswahl und Personalführung zu legen. Hier ist in den letzten Jahrzehnten sehr stark dem Prinzip der Weltkirche durch Berufung von Mitarbeitern aus den verschiedenen Ortskirchen zu Recht Rechnung getragen worden. Man hatte manchmal jedoch den Eindruck, dass es wichtiger war, den Vertreter einer bestimmten Ortskirche zu berufen, als danach zu fragen, inwieweit eine ausreichende fachliche Kompetenz vorhanden ist.

Ebenfalls ist zu hinterfragen, ob für eine Vielzahl von Funktionen die Berufung eines Klerikers wirklich die beste Besetzung ist und nicht eher ein qualifizierter Laie geeignet wäre. Im Zuge einer systematischen Entklerikalisierung sollte der Anteil der Laien entsprechend der ihnen vom Zweiten Vatikanum zugewiesenen Stellung nicht nur auf der Ebene der Ortskirchen, sondern auch in der Leitung der Weltkirche signifikant gesteigert werden. Um der männlich dominierten Kultur entgegenzuwirken, müsste auch eine deutlich stärkere Beteiligung von Frauen in Führungspositionen erreicht werden. Könnte zum Beispiel das IOR, die Vatikanbank, nicht durch eine international anerkannte Bankerin geleitet werden?

Das Handeln und die Kommunikation innerhalb des Vatikans sind zu oft geprägt durch falsch verstandenen Gehorsam, Hierarchiegläubigkeit und leider auch durch Angst. An ihre Stelle muss eine konstruktive Streit- und Diskussionskultur treten, die – wie in erfolgreich geführten Unternehmen – auch die Verpflichtung zum loyalen Widerspruch einfordert, wenn der jeweilige Mitarbeiter in der Sache eine andere Auffassung vertritt.

Zur Verbesserung der Führungs- und Verwaltungskompetenz, vor allem für Vertreter der Kirche aus der südlichen Hemisphäre, sollte ein breit gefächertes, langfristig ausgerichtetes Qualifizierungsprogramm eingerichtet und über eine Neuausrichtung der päpstlichen Führungsakademie nachgedacht werden, um einen eigenen Führungsnachwuchs sowohl für die Kurie als auch für die Teilkirchen qualifiziert heranzubilden.

Das von Johannes Paul II. eingeführte Prinzip einer nur fünfjährigen Berufung in bestimmte Führungsfunktionen sollte beibehalten, auch auf mittlere und untere Führungsebenen ausgeweitet und vor allem konsequent angewendet werden. Im Idealfall sollte es einen ständigen personellen Austausch zwischen einer Aufgabe innerhalb der Kurie und einer Tätigkeit vor allem im pastoralen Bereich in den Ortskirchen geben. Jede Führungskraft sollte sich darüber im Klaren sein, dass ihre Zeit in Rom begrenzt ist. Dies würde auch die Bereitschaft der entsendenden Diözesen erhöhen, wirklich ihre besten Mitarbeiter nach Rom zu schicken, weil gewährleistet ist, dass sie ihnen nach fünf Jahren wieder zur Verfügung stehen. Voraussetzung für die Berufung von Geistlichen in ein höheres Amt in der Kurie sollte eine mehrjährige pastorale Erfahrung sein.

Mangelnde Transparenz und Geheimniskrämerei

Insgesamt muss ein Mentalitätswechsel erreicht werden: Nicht mehr eine erfolgreiche Karriere in der Kurie darf die Lebenshoffnung für den Einzelnen sein, sondern der Dienst in der Weltkirche, bei der der Vatikan nur eine zeitlich begrenzte Station ist.

Die Verwaltungs- und Entscheidungsprozesse sind daraufhin zu überprüfen, inwieweit sie die Möglichkeiten der vollen Ausschöpfung der modernen digitalen Kommunikationsinstrumente nutzen. Sollte nicht Englisch Italienisch als gemeinsame Amtssprache ersetzen, um es auch Mitarbeitern vor allem aus der Dritten Welt zu erleichtern, an der Entscheidungsfindung teilzunehmen?

Gerade für eine wertebasierte Institution ist die Glaubwürdigkeit ihrer obersten Leitungsorganisation von höchster Bedeutung. Ein weiterer Schwerpunktbereich ist daher das korrekte Verhalten von einzelnen Mitgliedern. Hier sollte ein Verhaltenskodex erstellt werden, der durch eine „Compliance Organisation“, wie sie jeder größere Konzern hat, weiterentwickelt und überwacht wird. Um ihre Unabhängigkeit sicherzustellen, sollte sie direkt dem Papst unterstellt sein.

Ein festgelegtes Compliance-Verfahren stellt klare Kriterien und einen geregelten Ablauf bei Regelverletzungen dar, entlastet die Leitungspersonen und schafft Vertrauen. Stichpunkte wären hier: Verschwiegenheit, untadelige Lebensführung, keine Annahme von Geldzuweisungen oder sonstigen Vorteilen – auch nicht von der eigenen entsendenden Diözese oder einer anderen Organisation, vertrauensvoller und kollegialer Umgang miteinander. Auch wenn dies zu höheren Personalkosten führt: Unabdingbare Voraussetzung dafür ist unter anderem eine angemessene Bezahlung der Mitarbeiter, die es ihnen erlaubt, ein auskömmliches Leben in Rom führen zu können und nach dem Ausscheiden ausreichend versorgt zu sein. Dies ist eine selbstverständliche Fürsorgepflicht eines jeden Arbeitgebers, die Mitarbeiter auch in führenden Positionen für finanzielle Zuwendungen weniger empfänglich macht.

Geklärt werden muss, welche Rolle und Funktion, Unterbringung und Versorgung ehemalige Mitarbeiter und Führungskräfte erhalten, die keine aktive Funktion mehr innehaben, aber informell erheblichen, nicht steuerbaren Einfluss ausüben können.

Die Vergabe von Aufträgen hat nach vorher festgelegten Kriterien objektiv und transparent zu erfolgen. Entsprechende Gremien haben über ihre Einhaltung zu wachen. Zu überdenken sind auch Statussymbole wie zum Beispiel die Ausstattung der Büros und Wohnungen, die genutzte Fahrzeugklasse und anderes mehr. Widerspricht nicht etwa das Heranziehen von Nonnen für einfache Hausarbeit deren eigentlicher Absicht, sich pastoralen und karitativen Anliegen zu verschreiben – und nicht billige Arbeitskräfte zu sein?

Insgesamt muss das Auftreten und Verhalten grundlegend überdacht und dort, wo Auswüchse sind, unabhängig von Person und Funktion radikal zurückgeschnitten werden. Ein wortgetreuer Rückgriff auf den „Katakombenpakt“ der ursprünglich 40 Konzilsväter aus dem Jahr 1965 scheint zwar nicht zweckmäßig – als Anregung vor allem für die Mitglieder der römischen Kurie darf er allemal dienen.

Dem Vorwurf vom angeblich unermesslichen Reichtum des Vatikans wird Vorschub geleistet durch mangelnde Transparenz und Geheimniskrämerei. Die bisher veröffentlichten Bilanzen decken nur einen Teil des Gesamtvermögens ab und geben keinen umfassenden und transparenten Überblick über die tatsächliche finanzielle Situation. Der Vatikan sollte daher durch einen externen Wirtschaftsprüfer eine umfassende Art „Konzernbilanz“ erstellen, die neben dem Heiligen Stuhl, dem Vatikanstaat alle weiteren Aktivitäten, an denen der Vatikan direkt oder indirekt beteiligt ist, erfasst und klar darstellt. Hier sollten alle wirtschaftlichen Güter (keine Kunstschätze und Sakralbauten), Immobilien und sonstige Anlagen und Beteiligungen sowie Einnahmen und Ausgaben nach Art und Quellen aufgeführt und veröffentlicht werden. Natürlich gibt es viele offene, schwierige technische Fragen, die aber zu lösen sind. In jedem Fall sollte Transparenz in allen finanziellen Themen oberstes Gebot sein.

Alle Anstrengungen sind zu unternehmen, die Seriosität des IOR umfassend und zügig wieder herzustellen. Nummernkonten und vergleichbare Praktiken sind zu überdenken. Dass der Verwaltungsrat als oberstes Kontrollorgan des IOR mit sechs Kardinälen besetzt ist, ist vom Umfang her nicht zwingend. Fachliche Kompetenz und Unabhängigkeit sind hier nicht immer automatisch gewährleistet. Vielmehr sollten mehr qualifizierte Fachleute berufen werden.

Auch das Geschäftsmodell ist radikal zu überdenken. Es sollten nur die Geschäfte durchgeführt werden, die für das Funktionieren der Kirche von essenzieller Bedeutung sind. Alle anderen Geschäfte sollten abgestoßen werden. Als „ultima ratio“ sollte ein Verkauf oder die Schließung nicht ausgeschlossen werden. Aus rein banktechnischen Gesichtspunkten könnten auch andere Geschäftsbanken die Funktion des IOR für den Vatikan dienstleistend durchführen.

Der Entwurf einer überzeugenden Gesamtkonzeption für die Kurie ist eine große Herausforderung. Noch größer ist jedoch die Aufgabe, sie umzusetzen und Realität werden zu lassen.

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