GastkommentarMuslime bekehren?

Eine zeugnisstarke Kirche baut keinen Erwartungsdruck auf.

Irgendwie stark muss derzeit alles sein: kopfballstark, meinungsstark, willensstark, forschungsstark; und die Kirche soll zeugnisstark sein. Denn sie soll doch bitteschön endlich wieder den Mut haben, Muslime zur Taufe einzuladen. Daran ist viel Richtiges; aber dann lockt die Forderung uns doch in eine Falle. Es lohnt sich, genauer hinzuschauen – wieder einmal.

Der Herzschlag des Christseins ist die Osterfreude. „Der Herr ist wirklich auferstanden“ lautet das Zeugnis – merklich überrascht (Lk 24,34). Daraus folgt alles andere: die Zuversicht, der Mut zum riskant-kreativen Einsatz, die Fähigkeit, wahrhaft zu lieben. Wo die Osterfreude Herzen bewegt, herrscht kein wichtigmacherisches oder selbstverachtendes Heldentum, sondern Vorfreude. Denn hier dürfen sich Menschen als Beteiligte an Gottes ewiger Zukunft wissen.

Anbruch des Gottesreiches, denn er ist wirklich auferstanden: Diese Begeisterung aufgrund eines Ereignisses, das alles Jetzige in neues Licht taucht, ist nur durch das Evangelium zu haben. Wem es nicht bezeugt wird, kann sich diese befreiende Vorfreude nicht anderswo holen. Daher ist der Verkündigungsdienst der Kirche unersetzbar und unverzichtbar. Er muss auch nicht fürchten, falsch verstanden zu werden. Gerade Muslime verstehen es, wenn man von seinem eigenen Glauben so überzeugt ist, dass man andere überzeugen will. Dann wird auch deutlich, dass verschiedene Religionen tatsächlich Unterschiedliches bekennen. Für die politische Öffentlichkeit ist das ebenso bereichernd wie für das tiefere Verständnis der eigenen Glaubensinhalte.

Aus einer Begegnung mit dem Glauben des anderen kann selbstverständlich eine Verunsicherung erwachsen, eine Neuentdeckung. Sie kann auch dahin führen, dass sich jemand zur Religion des anderen bekehren will. Das geschieht tatsächlich, und es geschieht in beide Richtungen: vom Islam zum christlichen Glauben wie umgekehrt. Bei feuriger Begeisterung ist natürlich Vorsicht geboten. Ein Religionswechsel braucht Reife – eine reife Person und einen in Kenntnis und Erfahrung, in Gebet, Austausch und kritischer Prüfung gereiften Entschluss. Dann aber geschieht es: Muslime bitten um die Taufe.

Das erfordert eine neu „aufgeschlossene“ Kirche: eine Kirche, die sich und allen klarmacht, dass neue Mitglieder willkommen sind; eine aufgeschlossene Kirche, die sich dabei auch klarmacht, dass die Neuzugänge Verantwortung mit sich bringen, dass sie Bereitschaft zum Wandel nötig machen – und möglich machen. Das erfordert schließlich eine aufgeschlossene Kirche, die hingeht zu den Menschen, die hingeht zu den Muslimen. Zahllose Christinnen und Christen leisten hier Beeindruckendes, gerade seit Sommer 2015.

Wir gehen zu den muslimischen Mitmenschen, Freundschaften sind entstanden, viel Geduld, Verständnis, Einfallsreichtum und Humor wurden nötig: Wir bezeugen das Evangelium in der Tat und im Wort. Hier aber verläuft nun eine kaum sichtbare Linie, die feine Grenze zwischen Zeugnis und „Proselytismus“ (vgl. Mt 23,15; Papst Franziskus, Evangelii Gaudium, Nr.14).

Zeugnis legt man ab – was andere daraus machen, muss man dem Geist überlassen (vgl. Apg 10,44). „Der Glaubensakt ist seiner Natur nach ein freier Akt“ (Dignitatis Humanae, Nr. 10). Wenn ich eine muslimische Asylbewerberin regelmäßig besuche, gelegentlich beschenke und eines Tages verkünde: „Christus lädt auch dich in seine Kirche ein“, ist alles Weitere wohl kaum noch frei. Sie muss befürchten, dass ihr Nein wie eine Zurückweisung meiner – vielleicht durchaus selbstlosen – Zuwendung wirkt. Was nur Glaubenszeugnis sein sollte, hat in Wirklichkeit einen hohen Erwartungsdruck aufgebaut. Eine abgelehnte Einladung tut allen weh. Was eine Freundschaft hätte werden können, wirkt nun wie Missionstaktik; und was Interesse am andern in seiner Andersheit war, steht nun als Interesse am Mitgliederzuwachs da: Proselytismus.

Wer den christlichen Glauben liebt, wird sich wünschen, dass alle Menschen das Glück der Christusgemeinschaft erleben können. Wer aber Liebe stiften will und dabei mit Liebesentzug droht, vergiftet den Raum, in dem Liebe wachsen kann. Dabei kann der drohende Liebesentzug auch ganz unbewusst im Raum stehen, ja ungewollt. Was kann man da noch tun? Wir können uns nur ehrlich befragen: Sind wir insgeheim sauer, wenn der muslimische Freund auf Dauer Muslim bleibt? Sind wir bereit, von der Muslima und ihrem Glauben zu lernen, unabhängig davon, ob sie etwas von uns lernt? Können wir mit Muslimen zusammen unser Land gestalten? Wollen wir Proselyten machen oder für das Evangelium Zeugnis ablegen?

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